men unvermeidliche Unglück zu verhüten. Allein um doch einigermaßen dem Genius des Pöbels zu opfern, gingen eigens bestellte Personen hinter dem Zuge her, lös'ten das Tuch von der Brücke, wickelten es banen¬ weise zusammen und warfen es in die Luft. Hiedurch entstand nun zwar kein Unglück, aber ein lächerliches Unheil: denn das Tuch entrollte sich in der Luft und bedeckte, wie es niederfiel, eine größere oder geringere Anzahl Menschen. Diejenigen nun welche die Enden faßten und solche an sich zogen, rissen alle die Mittleren zu Boden, umhüll¬ ten und ängstigten sie so lange, bis sie sich durchgerissen oder durchgeschnitten, und jeder nach seiner Weise einen Zipfel dieses, durch die Fußtritte der Majestäten geheiligten Gewe¬ bes davongetragen hatte.
Dieser wilden Belustigung sah ich nicht lange zu, sondern eilte von meinem hohen Standorte durch allerley Treppchen und Gänge
men unvermeidliche Ungluͤck zu verhuͤten. Allein um doch einigermaßen dem Genius des Poͤbels zu opfern, gingen eigens beſtellte Perſonen hinter dem Zuge her, loͤſ'ten das Tuch von der Bruͤcke, wickelten es banen¬ weiſe zuſammen und warfen es in die Luft. Hiedurch entſtand nun zwar kein Ungluͤck, aber ein laͤcherliches Unheil: denn das Tuch entrollte ſich in der Luft und bedeckte, wie es niederfiel, eine groͤßere oder geringere Anzahl Menſchen. Diejenigen nun welche die Enden faßten und ſolche an ſich zogen, riſſen alle die Mittleren zu Boden, umhuͤll¬ ten und aͤngſtigten ſie ſo lange, bis ſie ſich durchgeriſſen oder durchgeſchnitten, und jeder nach ſeiner Weiſe einen Zipfel dieſes, durch die Fußtritte der Majeſtaͤten geheiligten Gewe¬ bes davongetragen hatte.
Dieſer wilden Beluſtigung ſah ich nicht lange zu, ſondern eilte von meinem hohen Standorte durch allerley Treppchen und Gaͤnge
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men unvermeidliche Ungluͤck zu verhuͤten.
Allein um doch einigermaßen dem Genius
des Poͤbels zu opfern, gingen eigens beſtellte
Perſonen hinter dem Zuge her, loͤſ'ten das
Tuch von der Bruͤcke, wickelten es banen¬
weiſe zuſammen und warfen es in die Luft.
Hiedurch entſtand nun zwar kein Ungluͤck,
aber ein laͤcherliches Unheil: denn das Tuch
entrollte ſich in der Luft und bedeckte, wie
es niederfiel, eine groͤßere oder geringere
Anzahl Menſchen. Diejenigen nun welche
die Enden faßten und ſolche an ſich zogen,
riſſen alle die Mittleren zu Boden, umhuͤll¬
ten und aͤngſtigten ſie ſo lange, bis ſie ſich
durchgeriſſen oder durchgeſchnitten, und jeder
nach ſeiner Weiſe einen Zipfel dieſes, durch
die Fußtritte der Majeſtaͤten geheiligten Gewe¬
bes davongetragen hatte.
Dieſer wilden Beluſtigung ſah ich nicht
lange zu, ſondern eilte von meinem hohen
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/498>, abgerufen am 24.11.2024.
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