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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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über die bunte Brücke ganz sachte einherschrit¬
ten, daß alles gethan sey. Die Aufmerksam¬
keit war größer denn je, der Zug deutlicher
als vorher, besonders für uns, da er jetzt
gerade nach uns zu ging. Wir sahen ihn so
wie den ganzen volkserfüllten Platz beynah im
Grundriß. Nur zu sehr drängte sich am Ende
die Pracht: denn die Gesandten, die Erbäm¬
ter, Kaiser und König unter dem Baldachin,
die drey geistlichen Churfürsten die sich anschlos¬
sen, die schwarz gekleideten Schöffen und
Rathsherren, der goldgestickte Himmel, alles
schien nur eine Masse zu seyn, die nur von
Einem Willen bewegt, prächtig harmonisch,
und so eben unter dem Geläute der Glocken
aus dem Tempel tretend, als ein Heiliges
uns entgegenstrahlte.

Eine politisch religiose Feyerlichkeit hat
einen unendlichen Reiz. Wir sehen die irdi¬
sche Majestät vor Augen, umgeben von allen
Symbolen ihrer Macht; aber indem sie sich

uͤber die bunte Bruͤcke ganz ſachte einherſchrit¬
ten, daß alles gethan ſey. Die Aufmerkſam¬
keit war groͤßer denn je, der Zug deutlicher
als vorher, beſonders fuͤr uns, da er jetzt
gerade nach uns zu ging. Wir ſahen ihn ſo
wie den ganzen volkserfuͤllten Platz beynah im
Grundriß. Nur zu ſehr draͤngte ſich am Ende
die Pracht: denn die Geſandten, die Erbaͤm¬
ter, Kaiſer und Koͤnig unter dem Baldachin,
die drey geiſtlichen Churfuͤrſten die ſich anſchloſ¬
ſen, die ſchwarz gekleideten Schoͤffen und
Rathsherren, der goldgeſtickte Himmel, alles
ſchien nur eine Maſſe zu ſeyn, die nur von
Einem Willen bewegt, praͤchtig harmoniſch,
und ſo eben unter dem Gelaͤute der Glocken
aus dem Tempel tretend, als ein Heiliges
uns entgegenſtrahlte.

Eine politiſch religioſe Feyerlichkeit hat
einen unendlichen Reiz. Wir ſehen die irdi¬
ſche Majeſtaͤt vor Augen, umgeben von allen
Symbolen ihrer Macht; aber indem ſie ſich

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[480/0496] uͤber die bunte Bruͤcke ganz ſachte einherſchrit¬ ten, daß alles gethan ſey. Die Aufmerkſam¬ keit war groͤßer denn je, der Zug deutlicher als vorher, beſonders fuͤr uns, da er jetzt gerade nach uns zu ging. Wir ſahen ihn ſo wie den ganzen volkserfuͤllten Platz beynah im Grundriß. Nur zu ſehr draͤngte ſich am Ende die Pracht: denn die Geſandten, die Erbaͤm¬ ter, Kaiſer und Koͤnig unter dem Baldachin, die drey geiſtlichen Churfuͤrſten die ſich anſchloſ¬ ſen, die ſchwarz gekleideten Schoͤffen und Rathsherren, der goldgeſtickte Himmel, alles ſchien nur eine Maſſe zu ſeyn, die nur von Einem Willen bewegt, praͤchtig harmoniſch, und ſo eben unter dem Gelaͤute der Glocken aus dem Tempel tretend, als ein Heiliges uns entgegenſtrahlte. Eine politiſch religioſe Feyerlichkeit hat einen unendlichen Reiz. Wir ſehen die irdi¬ ſche Majeſtaͤt vor Augen, umgeben von allen Symbolen ihrer Macht; aber indem ſie ſich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/496>, abgerufen am 24.11.2024.