nehmen. Weil ich nun sehr redselig war, wenn man mich gewähren ließ; so erzählte ich alles von Anfang an bis auf den heutigen Tag, in der besten Ordnung, und versäumte nicht, um meinen Vortrag anschaulicher zu machen, mich des vorhandenen Griffels und der großen Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige Fragen und Rechthabereyen der andern wenig gestört, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬ meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich Gretchen durch ihre fortgesetzte Aufmerksam¬ keit höchlich ermuntert hatte. Sie dankte mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬ druck, alle diejenigen, die von den Sachen dieser Welt unterrichtet seyen und wüßten wie dieses und jenes zugehe und was es zu bedeuten habe. Sie wünschte sich ein Knabe zu seyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit anzuerkennen, daß sie mir schon manche Be¬ lehrung schuldig geworden. "Wenn ich ein Knabe wäre, sagte sie, so wollten wir auf Universitäten zusammen etwas rechtes lernen."
nehmen. Weil ich nun ſehr redſelig war, wenn man mich gewaͤhren ließ; ſo erzaͤhlte ich alles von Anfang an bis auf den heutigen Tag, in der beſten Ordnung, und verſaͤumte nicht, um meinen Vortrag anſchaulicher zu machen, mich des vorhandenen Griffels und der großen Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige Fragen und Rechthabereyen der andern wenig geſtoͤrt, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬ meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich Gretchen durch ihre fortgeſetzte Aufmerkſam¬ keit hoͤchlich ermuntert hatte. Sie dankte mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬ druck, alle diejenigen, die von den Sachen dieſer Welt unterrichtet ſeyen und wuͤßten wie dieſes und jenes zugehe und was es zu bedeuten habe. Sie wuͤnſchte ſich ein Knabe zu ſeyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit anzuerkennen, daß ſie mir ſchon manche Be¬ lehrung ſchuldig geworden. „Wenn ich ein Knabe waͤre, ſagte ſie, ſo wollten wir auf Univerſitaͤten zuſammen etwas rechtes lernen.“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0459"n="443"/>
nehmen. Weil ich nun ſehr redſelig war, wenn<lb/>
man mich gewaͤhren ließ; ſo erzaͤhlte ich alles<lb/>
von Anfang an bis auf den heutigen Tag,<lb/>
in der beſten Ordnung, und verſaͤumte nicht,<lb/>
um meinen Vortrag anſchaulicher zu machen,<lb/>
mich des vorhandenen Griffels und der großen<lb/>
Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige<lb/>
Fragen und Rechthabereyen der andern wenig<lb/>
geſtoͤrt, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬<lb/>
meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich<lb/>
Gretchen durch ihre fortgeſetzte Aufmerkſam¬<lb/>
keit hoͤchlich ermuntert hatte. Sie dankte<lb/>
mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬<lb/>
druck, alle diejenigen, die von den Sachen<lb/>
dieſer Welt unterrichtet ſeyen und wuͤßten<lb/>
wie dieſes und jenes zugehe und was es zu<lb/>
bedeuten habe. Sie wuͤnſchte ſich ein Knabe<lb/>
zu ſeyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit<lb/>
anzuerkennen, daß ſie mir ſchon manche Be¬<lb/>
lehrung ſchuldig geworden. „Wenn ich ein<lb/>
Knabe waͤre, ſagte ſie, ſo wollten wir auf<lb/>
Univerſitaͤten zuſammen etwas rechtes lernen.“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[443/0459]
nehmen. Weil ich nun ſehr redſelig war, wenn
man mich gewaͤhren ließ; ſo erzaͤhlte ich alles
von Anfang an bis auf den heutigen Tag,
in der beſten Ordnung, und verſaͤumte nicht,
um meinen Vortrag anſchaulicher zu machen,
mich des vorhandenen Griffels und der großen
Schiefer-Platte zu bedienen. Nur durch einige
Fragen und Rechthabereyen der andern wenig
geſtoͤrt, brachte ich meinen Vortrag zu allge¬
meiner Zufriedenheit ans Ende, indem mich
Gretchen durch ihre fortgeſetzte Aufmerkſam¬
keit hoͤchlich ermuntert hatte. Sie dankte
mir zuletzt und beneidete, nach ihrem Aus¬
druck, alle diejenigen, die von den Sachen
dieſer Welt unterrichtet ſeyen und wuͤßten
wie dieſes und jenes zugehe und was es zu
bedeuten habe. Sie wuͤnſchte ſich ein Knabe
zu ſeyn, und wußte mit vieler Freundlichkeit
anzuerkennen, daß ſie mir ſchon manche Be¬
lehrung ſchuldig geworden. „Wenn ich ein
Knabe waͤre, ſagte ſie, ſo wollten wir auf
Univerſitaͤten zuſammen etwas rechtes lernen.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/459>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.