Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Vermögensumstände seiner Aeltern litten nicht,
daß er auf Akademieen gehe; er habe sich
aber einer schönen Handschrift, des Rechnens
und der neuern Sprachen befleißigt, und
wolle nun, in Hoffnung auf jenes häusliche
Glück, sein Möglichstes versuchen. Die Vet¬
tern lobten ihn deshalb, ob sie gleich das
frühzeitige Versprechen an ein Mädchen nicht
billigen wollten, und setzten hinzu, sie müßten
ihn zwar für einen braven und guten Jun¬
gen anerkennen, hielten ihn aber weder für
thätig noch für unternehmend genug, etwas
Außerordentliches zu leisten. Indem er nun,
zu seiner Rechtfertigung, umständlich ausein¬
andersetzte, was er sich zu leisten getraue und
wie er es anzufangen gedenke; so wurden die
übrigen auch angereizt, und Jeder fing nun
an zu erzählen, was er schon vermöge, thue,
treibe, welchen Weg er zurückgelegt und was
er zunächst vor sich sehe. Die Reihe kam
zuletzt an mich. Ich sollte nun auch meine
Lebensweise und Aussichten darstellen, und in¬

Vermoͤgensumſtaͤnde ſeiner Aeltern litten nicht,
daß er auf Akademieen gehe; er habe ſich
aber einer ſchoͤnen Handſchrift, des Rechnens
und der neuern Sprachen befleißigt, und
wolle nun, in Hoffnung auf jenes haͤusliche
Gluͤck, ſein Moͤglichſtes verſuchen. Die Vet¬
tern lobten ihn deshalb, ob ſie gleich das
fruͤhzeitige Verſprechen an ein Maͤdchen nicht
billigen wollten, und ſetzten hinzu, ſie muͤßten
ihn zwar fuͤr einen braven und guten Jun¬
gen anerkennen, hielten ihn aber weder fuͤr
thaͤtig noch fuͤr unternehmend genug, etwas
Außerordentliches zu leiſten. Indem er nun,
zu ſeiner Rechtfertigung, umſtaͤndlich ausein¬
anderſetzte, was er ſich zu leiſten getraue und
wie er es anzufangen gedenke; ſo wurden die
uͤbrigen auch angereizt, und Jeder fing nun
an zu erzaͤhlen, was er ſchon vermoͤge, thue,
treibe, welchen Weg er zuruͤckgelegt und was
er zunaͤchſt vor ſich ſehe. Die Reihe kam
zuletzt an mich. Ich ſollte nun auch meine
Lebensweiſe und Ausſichten darſtellen, und in¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0427" n="411"/>
Vermo&#x0364;gensum&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;einer Aeltern litten nicht,<lb/>
daß er auf Akademieen gehe; er habe &#x017F;ich<lb/>
aber einer &#x017F;cho&#x0364;nen Hand&#x017F;chrift, des Rechnens<lb/>
und der neuern Sprachen befleißigt, und<lb/>
wolle nun, in Hoffnung auf jenes ha&#x0364;usliche<lb/>
Glu&#x0364;ck, &#x017F;ein Mo&#x0364;glich&#x017F;tes ver&#x017F;uchen. Die Vet¬<lb/>
tern lobten ihn deshalb, ob &#x017F;ie gleich das<lb/>
fru&#x0364;hzeitige Ver&#x017F;prechen an ein Ma&#x0364;dchen nicht<lb/>
billigen wollten, und &#x017F;etzten hinzu, &#x017F;ie mu&#x0364;ßten<lb/>
ihn zwar fu&#x0364;r einen braven und guten Jun¬<lb/>
gen anerkennen, hielten ihn aber weder fu&#x0364;r<lb/>
tha&#x0364;tig noch fu&#x0364;r unternehmend genug, etwas<lb/>
Außerordentliches zu lei&#x017F;ten. Indem er nun,<lb/>
zu &#x017F;einer Rechtfertigung, um&#x017F;ta&#x0364;ndlich ausein¬<lb/>
ander&#x017F;etzte, was er &#x017F;ich zu lei&#x017F;ten getraue und<lb/>
wie er es anzufangen gedenke; &#x017F;o wurden die<lb/>
u&#x0364;brigen auch angereizt, und Jeder fing nun<lb/>
an zu erza&#x0364;hlen, was er &#x017F;chon vermo&#x0364;ge, thue,<lb/>
treibe, welchen Weg er zuru&#x0364;ckgelegt und was<lb/>
er zuna&#x0364;ch&#x017F;t vor &#x017F;ich &#x017F;ehe. Die Reihe kam<lb/>
zuletzt an mich. Ich &#x017F;ollte nun auch meine<lb/>
Lebenswei&#x017F;e und Aus&#x017F;ichten dar&#x017F;tellen, und in¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0427] Vermoͤgensumſtaͤnde ſeiner Aeltern litten nicht, daß er auf Akademieen gehe; er habe ſich aber einer ſchoͤnen Handſchrift, des Rechnens und der neuern Sprachen befleißigt, und wolle nun, in Hoffnung auf jenes haͤusliche Gluͤck, ſein Moͤglichſtes verſuchen. Die Vet¬ tern lobten ihn deshalb, ob ſie gleich das fruͤhzeitige Verſprechen an ein Maͤdchen nicht billigen wollten, und ſetzten hinzu, ſie muͤßten ihn zwar fuͤr einen braven und guten Jun¬ gen anerkennen, hielten ihn aber weder fuͤr thaͤtig noch fuͤr unternehmend genug, etwas Außerordentliches zu leiſten. Indem er nun, zu ſeiner Rechtfertigung, umſtaͤndlich ausein¬ anderſetzte, was er ſich zu leiſten getraue und wie er es anzufangen gedenke; ſo wurden die uͤbrigen auch angereizt, und Jeder fing nun an zu erzaͤhlen, was er ſchon vermoͤge, thue, treibe, welchen Weg er zuruͤckgelegt und was er zunaͤchſt vor ſich ſehe. Die Reihe kam zuletzt an mich. Ich ſollte nun auch meine Lebensweiſe und Ausſichten darſtellen, und in¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/427
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/427>, abgerufen am 22.11.2024.