Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffen. Kommt zu uns: denn es ist billig,
daß Gretchen auch mit genieße, die uns ei¬
gentlich auf diesen Einfall gebracht hat." --
Meine Freude war unsäglich. Auf dem
Heimwege hatte ich nur die noch fehlenden
Strophen im Sinne, schrieb das Ganze noch
vor Schlafengehn nieder und den andern
Morgen sehr sauber ins Reine. Der Tag
ward mir unendlich lang, und kaum war es
dunkel geworden, so fand ich mich wieder in
der kleinen engen Wohnung neben dem aller¬
liebsten Mädchen.

Die jungen Leute, mit denen ich auf diese
Weise immer in nähere Verbindung kam, wa¬
ren nicht eigentlich gemeine, aber doch ge¬
wöhnliche Menschen. Ihre Thätigkeit war lo¬
benswürdig, und ich hörte ihnen mit Vergnü¬
gen zu, wenn sie von den vielfachen Mitteln und
Wegen sprachen, wie man sich etwas erwerben
könne, auch erzählten sie am liebsten von gegen¬
wärtig sehr reichen Leuten, die mit nichts an¬

ſchaffen. Kommt zu uns: denn es iſt billig,
daß Gretchen auch mit genieße, die uns ei¬
gentlich auf dieſen Einfall gebracht hat.“ —
Meine Freude war unſaͤglich. Auf dem
Heimwege hatte ich nur die noch fehlenden
Strophen im Sinne, ſchrieb das Ganze noch
vor Schlafengehn nieder und den andern
Morgen ſehr ſauber ins Reine. Der Tag
ward mir unendlich lang, und kaum war es
dunkel geworden, ſo fand ich mich wieder in
der kleinen engen Wohnung neben dem aller¬
liebſten Maͤdchen.

Die jungen Leute, mit denen ich auf dieſe
Weiſe immer in naͤhere Verbindung kam, wa¬
ren nicht eigentlich gemeine, aber doch ge¬
woͤhnliche Menſchen. Ihre Thaͤtigkeit war lo¬
benswuͤrdig, und ich hoͤrte ihnen mit Vergnuͤ¬
gen zu, wenn ſie von den vielfachen Mitteln und
Wegen ſprachen, wie man ſich etwas erwerben
koͤnne, auch erzaͤhlten ſie am liebſten von gegen¬
waͤrtig ſehr reichen Leuten, die mit nichts an¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0425" n="409"/>
&#x017F;chaffen. Kommt zu uns: denn es i&#x017F;t billig,<lb/>
daß Gretchen auch mit genieße, die uns ei¬<lb/>
gentlich auf die&#x017F;en Einfall gebracht hat.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Meine Freude war un&#x017F;a&#x0364;glich. Auf dem<lb/>
Heimwege hatte ich nur die noch fehlenden<lb/>
Strophen im Sinne, &#x017F;chrieb das Ganze noch<lb/>
vor Schlafengehn nieder und den andern<lb/>
Morgen &#x017F;ehr &#x017F;auber ins Reine. Der Tag<lb/>
ward mir unendlich lang, und kaum war es<lb/>
dunkel geworden, &#x017F;o fand ich mich wieder in<lb/>
der kleinen engen Wohnung neben dem aller¬<lb/>
lieb&#x017F;ten Ma&#x0364;dchen.</p><lb/>
        <p>Die jungen Leute, mit denen ich auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e immer in na&#x0364;here Verbindung kam, wa¬<lb/>
ren nicht eigentlich gemeine, aber doch ge¬<lb/>
wo&#x0364;hnliche Men&#x017F;chen. Ihre Tha&#x0364;tigkeit war lo¬<lb/>
benswu&#x0364;rdig, und ich ho&#x0364;rte ihnen mit Vergnu&#x0364;¬<lb/>
gen zu, wenn &#x017F;ie von den vielfachen Mitteln und<lb/>
Wegen &#x017F;prachen, wie man &#x017F;ich etwas erwerben<lb/>
ko&#x0364;nne, auch erza&#x0364;hlten &#x017F;ie am lieb&#x017F;ten von gegen¬<lb/>
wa&#x0364;rtig &#x017F;ehr reichen Leuten, die mit nichts an¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[409/0425] ſchaffen. Kommt zu uns: denn es iſt billig, daß Gretchen auch mit genieße, die uns ei¬ gentlich auf dieſen Einfall gebracht hat.“ — Meine Freude war unſaͤglich. Auf dem Heimwege hatte ich nur die noch fehlenden Strophen im Sinne, ſchrieb das Ganze noch vor Schlafengehn nieder und den andern Morgen ſehr ſauber ins Reine. Der Tag ward mir unendlich lang, und kaum war es dunkel geworden, ſo fand ich mich wieder in der kleinen engen Wohnung neben dem aller¬ liebſten Maͤdchen. Die jungen Leute, mit denen ich auf dieſe Weiſe immer in naͤhere Verbindung kam, wa¬ ren nicht eigentlich gemeine, aber doch ge¬ woͤhnliche Menſchen. Ihre Thaͤtigkeit war lo¬ benswuͤrdig, und ich hoͤrte ihnen mit Vergnuͤ¬ gen zu, wenn ſie von den vielfachen Mitteln und Wegen ſprachen, wie man ſich etwas erwerben koͤnne, auch erzaͤhlten ſie am liebſten von gegen¬ waͤrtig ſehr reichen Leuten, die mit nichts an¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/425
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/425>, abgerufen am 02.09.2024.