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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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es gegen das Böse manches Gleichgewicht gebe,
daß man sich von den Uebeln wohl wieder
herstelle, und daß man sich aus Gefahren
rette und nicht immer den Hals breche.
Auch was die Menschen thaten und trieben
sah ich läßlich an, und fand manches Lobens¬
würdige, womit mein alter Herr keineswegs
zufrieden seyn wollte. Ja, als er einmal
mir die Welt ziemlich von ihrer fratzenhaften
Seite geschildert hatte, merkte ich ihm an,
daß er noch mit einem bedeutenden Trumpfe
zu schließen gedenke. Er drückte, wie in
solchen Fällen seine Art war, das blinde linke
Auge stark zu, blickte mit dem andern scharf
hervor und sagte mit einer näselnden Stim¬
me: "Auch in Gott entdeck' ich Fehler."

Mein timonischer Mentor war auch Ma¬
thematiker; aber seine practische Natur trieb
ihn zur Mechanik, ob er gleich nicht selbst
arbeitete. Eine für damalige Zeiten wenig¬
stens wundersame Uhr, welche neben den Stun¬

es gegen das Boͤſe manches Gleichgewicht gebe,
daß man ſich von den Uebeln wohl wieder
herſtelle, und daß man ſich aus Gefahren
rette und nicht immer den Hals breche.
Auch was die Menſchen thaten und trieben
ſah ich laͤßlich an, und fand manches Lobens¬
wuͤrdige, womit mein alter Herr keineswegs
zufrieden ſeyn wollte. Ja, als er einmal
mir die Welt ziemlich von ihrer fratzenhaften
Seite geſchildert hatte, merkte ich ihm an,
daß er noch mit einem bedeutenden Trumpfe
zu ſchließen gedenke. Er druͤckte, wie in
ſolchen Faͤllen ſeine Art war, das blinde linke
Auge ſtark zu, blickte mit dem andern ſcharf
hervor und ſagte mit einer naͤſelnden Stim¬
me: „Auch in Gott entdeck' ich Fehler.“

Mein timoniſcher Mentor war auch Ma¬
thematiker; aber ſeine practiſche Natur trieb
ihn zur Mechanik, ob er gleich nicht ſelbſt
arbeitete. Eine fuͤr damalige Zeiten wenig¬
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[381/0397] es gegen das Boͤſe manches Gleichgewicht gebe, daß man ſich von den Uebeln wohl wieder herſtelle, und daß man ſich aus Gefahren rette und nicht immer den Hals breche. Auch was die Menſchen thaten und trieben ſah ich laͤßlich an, und fand manches Lobens¬ wuͤrdige, womit mein alter Herr keineswegs zufrieden ſeyn wollte. Ja, als er einmal mir die Welt ziemlich von ihrer fratzenhaften Seite geſchildert hatte, merkte ich ihm an, daß er noch mit einem bedeutenden Trumpfe zu ſchließen gedenke. Er druͤckte, wie in ſolchen Faͤllen ſeine Art war, das blinde linke Auge ſtark zu, blickte mit dem andern ſcharf hervor und ſagte mit einer naͤſelnden Stim¬ me: „Auch in Gott entdeck' ich Fehler.“ Mein timoniſcher Mentor war auch Ma¬ thematiker; aber ſeine practiſche Natur trieb ihn zur Mechanik, ob er gleich nicht ſelbſt arbeitete. Eine fuͤr damalige Zeiten wenig¬ ſtens wunderſame Uhr, welche neben den Stun¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/397>, abgerufen am 24.11.2024.