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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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nicht genießen. Denn unglücklicherweise sah
von Reineck eine sehr schöne Nelke vor sich,
die aber den Kopf etwas niedersenkte; er griff
daher sehr zierlich mit dem Zeige- und Mit¬
telfinger vom Stengel herauf gegen den Kelch
und hob die Blume von hinten in die Höhe,
so daß er sie wohl betrachten konnte. Aber
auch diese zarte Berührung verdroß den Besi¬
tzer. Von Malapart erinnerte, zwar höflich
aber doch steif genug und eher etwas selbst¬
gefällig, an das oculis non manibus. Von
Reineck hatte die Blume schon losgelassen,
fing aber auf jenes Wort gleich Feuer und
sagte, mit seiner gewöhnlichen Trockenheit
und Ernst: Es sey einem Kenner und Lieb¬
haber wohl gemäß, eine Blume auf die
Weise zu berühren und zu betrachten; worauf
er denn jenen Gest wiederholte und sie noch
einmal zwischen die Finger nahm. Die bey¬
derseitigen Hausfreunde -- denn auch von
Malapart hatte einen bey sich -- waren
nun in der größten Verlegenheit. Sie ließen

nicht genießen. Denn ungluͤcklicherweiſe ſah
von Reineck eine ſehr ſchoͤne Nelke vor ſich,
die aber den Kopf etwas niederſenkte; er griff
daher ſehr zierlich mit dem Zeige- und Mit¬
telfinger vom Stengel herauf gegen den Kelch
und hob die Blume von hinten in die Hoͤhe,
ſo daß er ſie wohl betrachten konnte. Aber
auch dieſe zarte Beruͤhrung verdroß den Beſi¬
tzer. Von Malapart erinnerte, zwar hoͤflich
aber doch ſteif genug und eher etwas ſelbſt¬
gefaͤllig, an das oculis non manibus. Von
Reineck hatte die Blume ſchon losgelaſſen,
fing aber auf jenes Wort gleich Feuer und
ſagte, mit ſeiner gewoͤhnlichen Trockenheit
und Ernſt: Es ſey einem Kenner und Lieb¬
haber wohl gemaͤß, eine Blume auf die
Weiſe zu beruͤhren und zu betrachten; worauf
er denn jenen Geſt wiederholte und ſie noch
einmal zwiſchen die Finger nahm. Die bey¬
derſeitigen Hausfreunde — denn auch von
Malapart hatte einen bey ſich — waren
nun in der groͤßten Verlegenheit. Sie ließen

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[377/0393] nicht genießen. Denn ungluͤcklicherweiſe ſah von Reineck eine ſehr ſchoͤne Nelke vor ſich, die aber den Kopf etwas niederſenkte; er griff daher ſehr zierlich mit dem Zeige- und Mit¬ telfinger vom Stengel herauf gegen den Kelch und hob die Blume von hinten in die Hoͤhe, ſo daß er ſie wohl betrachten konnte. Aber auch dieſe zarte Beruͤhrung verdroß den Beſi¬ tzer. Von Malapart erinnerte, zwar hoͤflich aber doch ſteif genug und eher etwas ſelbſt¬ gefaͤllig, an das oculis non manibus. Von Reineck hatte die Blume ſchon losgelaſſen, fing aber auf jenes Wort gleich Feuer und ſagte, mit ſeiner gewoͤhnlichen Trockenheit und Ernſt: Es ſey einem Kenner und Lieb¬ haber wohl gemaͤß, eine Blume auf die Weiſe zu beruͤhren und zu betrachten; worauf er denn jenen Geſt wiederholte und ſie noch einmal zwiſchen die Finger nahm. Die bey¬ derſeitigen Hausfreunde — denn auch von Malapart hatte einen bey ſich — waren nun in der groͤßten Verlegenheit. Sie ließen

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/393>, abgerufen am 25.11.2024.