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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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einen Seite diejenigen stehen, die sich mit den
einfachen und rohen Erzeugnissen beschäftigen,
an der andern solche, die schon etwas Verar¬
beitetes genießen wollen; so vermittelt der
Gewerker durch Sinn und Hand, daß jene
beyde etwas von einander empfangen und je¬
der nach seiner Art seiner Wünsche theilhaft
werden kann. Das Familienwesen eines je¬
den Handswerks, das Gestalt und Farbe
von der Beschäftigung erhielt, war gleichfalls
der Gegenstand meiner stillen Aufmerksamkeit,
und so entwickelte, so bestärkte sich in mir
das Gefühl der Gleichheit wo nicht aller
Menschen, doch aller menschlichen Zustände,
indem mir das nackte Daseyn als die Haupt¬
bedingung, das übrige alles aber als gleich¬
gültig und zufällig erschien.

Da mein Vater sich nicht leicht eine Aus¬
gabe erlaubte, die durch einen augenblickli¬
chen Genuß sogleich wäre aufgezehrt worden:
wie ich mich denn kaum erinnre, daß wir

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einen Seite diejenigen ſtehen, die ſich mit den
einfachen und rohen Erzeugniſſen beſchaͤftigen,
an der andern ſolche, die ſchon etwas Verar¬
beitetes genießen wollen; ſo vermittelt der
Gewerker durch Sinn und Hand, daß jene
beyde etwas von einander empfangen und je¬
der nach ſeiner Art ſeiner Wuͤnſche theilhaft
werden kann. Das Familienweſen eines je¬
den Handswerks, das Geſtalt und Farbe
von der Beſchaͤftigung erhielt, war gleichfalls
der Gegenſtand meiner ſtillen Aufmerkſamkeit,
und ſo entwickelte, ſo beſtaͤrkte ſich in mir
das Gefuͤhl der Gleichheit wo nicht aller
Menſchen, doch aller menſchlichen Zuſtaͤnde,
indem mir das nackte Daſeyn als die Haupt¬
bedingung, das uͤbrige alles aber als gleich¬
guͤltig und zufaͤllig erſchien.

Da mein Vater ſich nicht leicht eine Aus¬
gabe erlaubte, die durch einen augenblickli¬
chen Genuß ſogleich waͤre aufgezehrt worden:
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[355/0371] einen Seite diejenigen ſtehen, die ſich mit den einfachen und rohen Erzeugniſſen beſchaͤftigen, an der andern ſolche, die ſchon etwas Verar¬ beitetes genießen wollen; ſo vermittelt der Gewerker durch Sinn und Hand, daß jene beyde etwas von einander empfangen und je¬ der nach ſeiner Art ſeiner Wuͤnſche theilhaft werden kann. Das Familienweſen eines je¬ den Handswerks, das Geſtalt und Farbe von der Beſchaͤftigung erhielt, war gleichfalls der Gegenſtand meiner ſtillen Aufmerkſamkeit, und ſo entwickelte, ſo beſtaͤrkte ſich in mir das Gefuͤhl der Gleichheit wo nicht aller Menſchen, doch aller menſchlichen Zuſtaͤnde, indem mir das nackte Daſeyn als die Haupt¬ bedingung, das uͤbrige alles aber als gleich¬ guͤltig und zufaͤllig erſchien. Da mein Vater ſich nicht leicht eine Aus¬ gabe erlaubte, die durch einen augenblickli¬ chen Genuß ſogleich waͤre aufgezehrt worden: wie ich mich denn kaum erinnre, daß wir 23 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/371>, abgerufen am 27.11.2024.