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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Jedoch auch friedlichere Anlässe führten
mich in der Stadt hin und wieder. Mein
Vater hatte mich früh gewöhnt kleine Ge¬
schäfte für ihn zu besorgen. Besonders trug
er mir auf, die Handwerker die er in Arbeit
setzte, zu mahnen, da sie ihn gewöhnlich län¬
ger als billig aufhielten, weil er alles genau
wollte gearbeitet haben und zuletzt bey promp¬
ter Bezahlung die Preise zu mäßigen pflegte.
Ich gelangte dadurch fast in alle Werkstätten,
und da es mir angeboren war mich in die
Zustände anderer zu finden, eine jede beson¬
dere Art des menschlichen Daseyns zu fühlen
und mit Gefallen daran Theil zu nehmen;
so brachte ich manche vergnügliche Stunde
durch Anlaß solcher Aufträge zu, lernte eines
Jeden Verfahrungsart kennen, und was die
unerläßlichen Bedingungen dieser und jener Le¬
bensweise für Freude, für Leid, Beschwerliches
und Günstiges mit sich führen. Ich näherte
mich dadurch dieser thätigen, das Untere und
Obere verbindenden Classe. Denn wenn an der

Jedoch auch friedlichere Anlaͤſſe fuͤhrten
mich in der Stadt hin und wieder. Mein
Vater hatte mich fruͤh gewoͤhnt kleine Ge¬
ſchaͤfte fuͤr ihn zu beſorgen. Beſonders trug
er mir auf, die Handwerker die er in Arbeit
ſetzte, zu mahnen, da ſie ihn gewoͤhnlich laͤn¬
ger als billig aufhielten, weil er alles genau
wollte gearbeitet haben und zuletzt bey promp¬
ter Bezahlung die Preiſe zu maͤßigen pflegte.
Ich gelangte dadurch faſt in alle Werkſtaͤtten,
und da es mir angeboren war mich in die
Zuſtaͤnde anderer zu finden, eine jede beſon¬
dere Art des menſchlichen Daſeyns zu fuͤhlen
und mit Gefallen daran Theil zu nehmen;
ſo brachte ich manche vergnuͤgliche Stunde
durch Anlaß ſolcher Auftraͤge zu, lernte eines
Jeden Verfahrungsart kennen, und was die
unerlaͤßlichen Bedingungen dieſer und jener Le¬
bensweiſe fuͤr Freude, fuͤr Leid, Beſchwerliches
und Guͤnſtiges mit ſich fuͤhren. Ich naͤherte
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[354/0370] Jedoch auch friedlichere Anlaͤſſe fuͤhrten mich in der Stadt hin und wieder. Mein Vater hatte mich fruͤh gewoͤhnt kleine Ge¬ ſchaͤfte fuͤr ihn zu beſorgen. Beſonders trug er mir auf, die Handwerker die er in Arbeit ſetzte, zu mahnen, da ſie ihn gewoͤhnlich laͤn¬ ger als billig aufhielten, weil er alles genau wollte gearbeitet haben und zuletzt bey promp¬ ter Bezahlung die Preiſe zu maͤßigen pflegte. Ich gelangte dadurch faſt in alle Werkſtaͤtten, und da es mir angeboren war mich in die Zuſtaͤnde anderer zu finden, eine jede beſon¬ dere Art des menſchlichen Daſeyns zu fuͤhlen und mit Gefallen daran Theil zu nehmen; ſo brachte ich manche vergnuͤgliche Stunde durch Anlaß ſolcher Auftraͤge zu, lernte eines Jeden Verfahrungsart kennen, und was die unerlaͤßlichen Bedingungen dieſer und jener Le¬ bensweiſe fuͤr Freude, fuͤr Leid, Beſchwerliches und Guͤnſtiges mit ſich fuͤhren. Ich naͤherte mich dadurch dieſer thaͤtigen, das Untere und Obere verbindenden Claſſe. Denn wenn an der

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/370>, abgerufen am 27.11.2024.