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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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keit auf das Besondere der Zeiten und Sitten,
und bedeutender Individualitäten ganz gut
zu gelingen schien.

Unter den alterthümlichen Resten war mir,
von Kindheit an, der auf dem Brückenthurm
aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers
merkwürdig gewesen, der von dreyen oder
vieren, wie die leeren eisernen Spitzen aus¬
wiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden
der Zeit und Witterung erhalten hatte. So
oft man von Sachsenhausen nach Frankfurt
zurückkehrte, hatte man den Thurm vor sich
und der Schädel fiel ins Auge. Ich ließ
mir als Knabe schon gern die Geschichte
dieser Aufrührer, des Fettmilch und seiner
Genossen erzählen, wie sie mit dem Stadt¬
regiment unzufrieden gewesen, sich gegen das¬
selbe empört, Meuterey angesponnen, die
Judenstadt geplündert und gräßliche Händel
erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiserli¬
chen Abgeordneten zum Tode verurtheilt wor¬

keit auf das Beſondere der Zeiten und Sitten,
und bedeutender Individualitaͤten ganz gut
zu gelingen ſchien.

Unter den alterthuͤmlichen Reſten war mir,
von Kindheit an, der auf dem Bruͤckenthurm
aufgeſteckte Schaͤdel eines Staatsverbrechers
merkwuͤrdig geweſen, der von dreyen oder
vieren, wie die leeren eiſernen Spitzen aus¬
wieſen, ſeit 1616 ſich durch alle Unbilden
der Zeit und Witterung erhalten hatte. So
oft man von Sachſenhauſen nach Frankfurt
zuruͤckkehrte, hatte man den Thurm vor ſich
und der Schaͤdel fiel ins Auge. Ich ließ
mir als Knabe ſchon gern die Geſchichte
dieſer Aufruͤhrer, des Fettmilch und ſeiner
Genoſſen erzaͤhlen, wie ſie mit dem Stadt¬
regiment unzufrieden geweſen, ſich gegen daſ¬
ſelbe empoͤrt, Meuterey angeſponnen, die
Judenſtadt gepluͤndert und graͤßliche Haͤndel
erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiſerli¬
chen Abgeordneten zum Tode verurtheilt wor¬

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[348/0364] keit auf das Beſondere der Zeiten und Sitten, und bedeutender Individualitaͤten ganz gut zu gelingen ſchien. Unter den alterthuͤmlichen Reſten war mir, von Kindheit an, der auf dem Bruͤckenthurm aufgeſteckte Schaͤdel eines Staatsverbrechers merkwuͤrdig geweſen, der von dreyen oder vieren, wie die leeren eiſernen Spitzen aus¬ wieſen, ſeit 1616 ſich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachſenhauſen nach Frankfurt zuruͤckkehrte, hatte man den Thurm vor ſich und der Schaͤdel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe ſchon gern die Geſchichte dieſer Aufruͤhrer, des Fettmilch und ſeiner Genoſſen erzaͤhlen, wie ſie mit dem Stadt¬ regiment unzufrieden geweſen, ſich gegen daſ¬ ſelbe empoͤrt, Meuterey angeſponnen, die Judenſtadt gepluͤndert und graͤßliche Haͤndel erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiſerli¬ chen Abgeordneten zum Tode verurtheilt wor¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/364>, abgerufen am 27.11.2024.