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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Stille und Ergebenheit. Den von seinem
Vater ihm angestammten Gewerbsinn übt er
im Großen: es sind nicht mehr Heerden, die
man einem Schwiegervater, die man für sich
selbst gewinnt, es sind Völker mit allen ih¬
ren Besitzungen, die man für einen König
einzuhandlen versteht. Höchst anmuthig ist
diese natürliche Erzählung, nur erscheint sie
zu kurz, und man fühlt sich berufen, sie ins
Einzelne auszumalen.

Ein solches Ausmalen biblischer, nur im
Umriß angegebener Charactere und Begeben¬
heiten war den Deutschen nicht mehr fremd.
Die Personen des alten und neuen Testa¬
ments hatten durch Klopstock ein zartes und
gefühlvolles Wesen gewonnen, das dem Kna¬
ben so wie vielen seiner Zeitgenossen höchlich
zusagte. Von den Bodmerischen Arbeiten die¬
ser Art kam wenig oder nichts zu ihm; aber
Daniel in der Löwengrube, von Mo¬
ser, machte große Wirkung auf das junge Ge¬

Stille und Ergebenheit. Den von ſeinem
Vater ihm angeſtammten Gewerbſinn uͤbt er
im Großen: es ſind nicht mehr Heerden, die
man einem Schwiegervater, die man fuͤr ſich
ſelbſt gewinnt, es ſind Voͤlker mit allen ih¬
ren Beſitzungen, die man fuͤr einen Koͤnig
einzuhandlen verſteht. Hoͤchſt anmuthig iſt
dieſe natuͤrliche Erzaͤhlung, nur erſcheint ſie
zu kurz, und man fuͤhlt ſich berufen, ſie ins
Einzelne auszumalen.

Ein ſolches Ausmalen bibliſcher, nur im
Umriß angegebener Charactere und Begeben¬
heiten war den Deutſchen nicht mehr fremd.
Die Perſonen des alten und neuen Teſta¬
ments hatten durch Klopſtock ein zartes und
gefuͤhlvolles Weſen gewonnen, das dem Kna¬
ben ſo wie vielen ſeiner Zeitgenoſſen hoͤchlich
zuſagte. Von den Bodmeriſchen Arbeiten die¬
ſer Art kam wenig oder nichts zu ihm; aber
Daniel in der Loͤwengrube, von Mo¬
ſer, machte große Wirkung auf das junge Ge¬

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[329/0345] Stille und Ergebenheit. Den von ſeinem Vater ihm angeſtammten Gewerbſinn uͤbt er im Großen: es ſind nicht mehr Heerden, die man einem Schwiegervater, die man fuͤr ſich ſelbſt gewinnt, es ſind Voͤlker mit allen ih¬ ren Beſitzungen, die man fuͤr einen Koͤnig einzuhandlen verſteht. Hoͤchſt anmuthig iſt dieſe natuͤrliche Erzaͤhlung, nur erſcheint ſie zu kurz, und man fuͤhlt ſich berufen, ſie ins Einzelne auszumalen. Ein ſolches Ausmalen bibliſcher, nur im Umriß angegebener Charactere und Begeben¬ heiten war den Deutſchen nicht mehr fremd. Die Perſonen des alten und neuen Teſta¬ ments hatten durch Klopſtock ein zartes und gefuͤhlvolles Weſen gewonnen, das dem Kna¬ ben ſo wie vielen ſeiner Zeitgenoſſen hoͤchlich zuſagte. Von den Bodmeriſchen Arbeiten die¬ ſer Art kam wenig oder nichts zu ihm; aber Daniel in der Loͤwengrube, von Mo¬ ſer, machte große Wirkung auf das junge Ge¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/345>, abgerufen am 22.11.2024.