Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

müth. Hier gelangt ein wohldenkender Ge¬
schäfts- und Hofmann durch mancherley Trüb¬
sale zu hohen Ehren, und seine Frömmigkeit,
durch die man ihn zu verderben drohte,
ward früher und später sein Schild und seine
Waffe. Die Geschichte Josephs zu bearbei¬
ten war mir lange schon wünschenswerth ge¬
wesen; allein ich konnte mit der Form nicht
zurecht kommen, besonders da mir keine Vers¬
art geläufig war, die zu einer solchen Ar¬
beit gepaßt hätte. Aber nun fand ich eine
prosaische Behandlung sehr bequem und legte
mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitung.
Nun suchte ich die Charactere zu sondern
und auszumalen, und durch Einschaltung von
Incidenzien und Episoden die alte einfache
Geschichte zu einem neuen und selbständigen
Werke zu machen. Ich bedachte nicht, was
freylich die Jugend nicht bedenken kann, daß
hiezu ein Gehalt nöthig sey, und daß dieser
uns nur durch das Gewahrwerden der Er¬
fahrung selbst entspringen könne. Genug, ich

muͤth. Hier gelangt ein wohldenkender Ge¬
ſchaͤfts- und Hofmann durch mancherley Truͤb¬
ſale zu hohen Ehren, und ſeine Froͤmmigkeit,
durch die man ihn zu verderben drohte,
ward fruͤher und ſpaͤter ſein Schild und ſeine
Waffe. Die Geſchichte Joſephs zu bearbei¬
ten war mir lange ſchon wuͤnſchenswerth ge¬
weſen; allein ich konnte mit der Form nicht
zurecht kommen, beſonders da mir keine Vers¬
art gelaͤufig war, die zu einer ſolchen Ar¬
beit gepaßt haͤtte. Aber nun fand ich eine
proſaiſche Behandlung ſehr bequem und legte
mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitung.
Nun ſuchte ich die Charactere zu ſondern
und auszumalen, und durch Einſchaltung von
Incidenzien und Epiſoden die alte einfache
Geſchichte zu einem neuen und ſelbſtaͤndigen
Werke zu machen. Ich bedachte nicht, was
freylich die Jugend nicht bedenken kann, daß
hiezu ein Gehalt noͤthig ſey, und daß dieſer
uns nur durch das Gewahrwerden der Er¬
fahrung ſelbſt entſpringen koͤnne. Genug, ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0346" n="330"/>
mu&#x0364;th. Hier gelangt ein wohldenkender Ge¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fts- und Hofmann durch mancherley Tru&#x0364;<lb/>
&#x017F;ale zu hohen Ehren, und &#x017F;eine Fro&#x0364;mmigkeit,<lb/>
durch die man ihn zu verderben drohte,<lb/>
ward fru&#x0364;her und &#x017F;pa&#x0364;ter &#x017F;ein Schild und &#x017F;eine<lb/>
Waffe. Die Ge&#x017F;chichte Jo&#x017F;ephs zu bearbei¬<lb/>
ten war mir lange &#x017F;chon wu&#x0364;n&#x017F;chenswerth ge¬<lb/>
we&#x017F;en; allein ich konnte mit der Form nicht<lb/>
zurecht kommen, be&#x017F;onders da mir keine Vers¬<lb/>
art gela&#x0364;ufig war, die zu einer &#x017F;olchen Ar¬<lb/>
beit gepaßt ha&#x0364;tte. Aber nun fand ich eine<lb/>
pro&#x017F;ai&#x017F;che Behandlung &#x017F;ehr bequem und legte<lb/>
mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitung.<lb/>
Nun &#x017F;uchte ich die Charactere zu &#x017F;ondern<lb/>
und auszumalen, und durch Ein&#x017F;chaltung von<lb/>
Incidenzien und Epi&#x017F;oden die alte einfache<lb/>
Ge&#x017F;chichte zu einem neuen und &#x017F;elb&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Werke zu machen. Ich bedachte nicht, was<lb/>
freylich die Jugend nicht bedenken kann, daß<lb/>
hiezu ein Gehalt no&#x0364;thig &#x017F;ey, und daß die&#x017F;er<lb/>
uns nur durch das Gewahrwerden der Er¬<lb/>
fahrung &#x017F;elb&#x017F;t ent&#x017F;pringen ko&#x0364;nne. Genug, ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0346] muͤth. Hier gelangt ein wohldenkender Ge¬ ſchaͤfts- und Hofmann durch mancherley Truͤb¬ ſale zu hohen Ehren, und ſeine Froͤmmigkeit, durch die man ihn zu verderben drohte, ward fruͤher und ſpaͤter ſein Schild und ſeine Waffe. Die Geſchichte Joſephs zu bearbei¬ ten war mir lange ſchon wuͤnſchenswerth ge¬ weſen; allein ich konnte mit der Form nicht zurecht kommen, beſonders da mir keine Vers¬ art gelaͤufig war, die zu einer ſolchen Ar¬ beit gepaßt haͤtte. Aber nun fand ich eine proſaiſche Behandlung ſehr bequem und legte mich mit aller Gewalt auf die Bearbeitung. Nun ſuchte ich die Charactere zu ſondern und auszumalen, und durch Einſchaltung von Incidenzien und Epiſoden die alte einfache Geſchichte zu einem neuen und ſelbſtaͤndigen Werke zu machen. Ich bedachte nicht, was freylich die Jugend nicht bedenken kann, daß hiezu ein Gehalt noͤthig ſey, und daß dieſer uns nur durch das Gewahrwerden der Er¬ fahrung ſelbſt entſpringen koͤnne. Genug, ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/346
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/346>, abgerufen am 25.11.2024.