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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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zugleich in der größten Einsamkeit und in
der größten Gesellschaft.

Diese Familienauftritte, ehe sie sich in
eine Geschichte des israelitischen Volks verlie¬
ren sollten, lassen uns nun zum Schluß noch
eine Gestalt sehen, an der sich besonders die
Jugend mit Hoffnungen und Einbildungen
gar artig schmeicheln kann: Joseph, das
Kind der leidenschaftlichsten ehelichen Liebe.
Ruhig erscheint er uns und klar, und pro¬
phezeyt sich selbst die Vorzüge, die ihn über
seine Familie erheben sollten. Durch seine
Geschwister ins Unglück gestoßen, bleibt er
standhaft und rechtlich in der Sklaverey, wi¬
dersteht den gefährlichsten Versuchungen, ret¬
tet sich durch Weissagung, und wird zu ho¬
hen Ehren nach Verdienst erhoben. Erst
zeigt er sich einem großen Königreiche, so¬
dann den Seinigen hülfreich und nützlich.
Er gleicht seinem Urvater Abraham an Ruhe
und Großheit, seinem Großvater Isaak an

zugleich in der groͤßten Einſamkeit und in
der groͤßten Geſellſchaft.

Dieſe Familienauftritte, ehe ſie ſich in
eine Geſchichte des iſraelitiſchen Volks verlie¬
ren ſollten, laſſen uns nun zum Schluß noch
eine Geſtalt ſehen, an der ſich beſonders die
Jugend mit Hoffnungen und Einbildungen
gar artig ſchmeicheln kann: Joſeph, das
Kind der leidenſchaftlichſten ehelichen Liebe.
Ruhig erſcheint er uns und klar, und pro¬
phezeyt ſich ſelbſt die Vorzuͤge, die ihn uͤber
ſeine Familie erheben ſollten. Durch ſeine
Geſchwiſter ins Ungluͤck geſtoßen, bleibt er
ſtandhaft und rechtlich in der Sklaverey, wi¬
derſteht den gefaͤhrlichſten Verſuchungen, ret¬
tet ſich durch Weiſſagung, und wird zu ho¬
hen Ehren nach Verdienſt erhoben. Erſt
zeigt er ſich einem großen Koͤnigreiche, ſo¬
dann den Seinigen huͤlfreich und nuͤtzlich.
Er gleicht ſeinem Urvater Abraham an Ruhe
und Großheit, ſeinem Großvater Iſaak an

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[328/0344] zugleich in der groͤßten Einſamkeit und in der groͤßten Geſellſchaft. Dieſe Familienauftritte, ehe ſie ſich in eine Geſchichte des iſraelitiſchen Volks verlie¬ ren ſollten, laſſen uns nun zum Schluß noch eine Geſtalt ſehen, an der ſich beſonders die Jugend mit Hoffnungen und Einbildungen gar artig ſchmeicheln kann: Joſeph, das Kind der leidenſchaftlichſten ehelichen Liebe. Ruhig erſcheint er uns und klar, und pro¬ phezeyt ſich ſelbſt die Vorzuͤge, die ihn uͤber ſeine Familie erheben ſollten. Durch ſeine Geſchwiſter ins Ungluͤck geſtoßen, bleibt er ſtandhaft und rechtlich in der Sklaverey, wi¬ derſteht den gefaͤhrlichſten Verſuchungen, ret¬ tet ſich durch Weiſſagung, und wird zu ho¬ hen Ehren nach Verdienſt erhoben. Erſt zeigt er ſich einem großen Koͤnigreiche, ſo¬ dann den Seinigen huͤlfreich und nuͤtzlich. Er gleicht ſeinem Urvater Abraham an Ruhe und Großheit, ſeinem Großvater Iſaak an

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/344>, abgerufen am 22.11.2024.