mit dieser theoretischen Salbaderey des vo¬ rigen Jahrhunderts, gequält hatte, schüttete ich das Kind mit dem Bade aus, und warf den ganzen Plunder desto entschiedener von mir, je mehr ich zu bemerken glaubte, daß die Autoren selbst, welche vortreffliche Sa¬ chen hervorbrachten, wenn sie darüber zu re¬ den anfingen, wenn sie den Grund ihres Handelns angaben, wenn sie sich vertheidigen, entschuldigen, beschönigen wollten, doch auch nicht immer den rechten Fleck zu treffen wu߬ ten. Ich eilte daher wieder zu dem lebendig Vorhandenen, besuchte das Schauspiel weit eifriger, las gewissenhafter und ununterbroch¬ ner, so daß ich in dieser Zeit Racine und Moliere ganz, und von Corneille einen gro¬ ßen Theil durchzuarbeiten die Anhaltsamkeit hatte.
Der Königs-Lieutenant wohnte noch im¬ mer in unserm Hause. Er hatte sein Be¬ tragen in nichts geändert, besonders gegen
mit dieſer theoretiſchen Salbaderey des vo¬ rigen Jahrhunderts, gequaͤlt hatte, ſchuͤttete ich das Kind mit dem Bade aus, und warf den ganzen Plunder deſto entſchiedener von mir, je mehr ich zu bemerken glaubte, daß die Autoren ſelbſt, welche vortreffliche Sa¬ chen hervorbrachten, wenn ſie daruͤber zu re¬ den anfingen, wenn ſie den Grund ihres Handelns angaben, wenn ſie ſich vertheidigen, entſchuldigen, beſchoͤnigen wollten, doch auch nicht immer den rechten Fleck zu treffen wu߬ ten. Ich eilte daher wieder zu dem lebendig Vorhandenen, beſuchte das Schauſpiel weit eifriger, las gewiſſenhafter und ununterbroch¬ ner, ſo daß ich in dieſer Zeit Racine und Moliere ganz, und von Corneille einen gro¬ ßen Theil durchzuarbeiten die Anhaltſamkeit hatte.
Der Koͤnigs-Lieutenant wohnte noch im¬ mer in unſerm Hauſe. Er hatte ſein Be¬ tragen in nichts geaͤndert, beſonders gegen
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mit dieſer theoretiſchen Salbaderey des vo¬
rigen Jahrhunderts, gequaͤlt hatte, ſchuͤttete
ich das Kind mit dem Bade aus, und warf
den ganzen Plunder deſto entſchiedener von
mir, je mehr ich zu bemerken glaubte, daß
die Autoren ſelbſt, welche vortreffliche Sa¬
chen hervorbrachten, wenn ſie daruͤber zu re¬
den anfingen, wenn ſie den Grund ihres
Handelns angaben, wenn ſie ſich vertheidigen,
entſchuldigen, beſchoͤnigen wollten, doch auch
nicht immer den rechten Fleck zu treffen wu߬
ten. Ich eilte daher wieder zu dem lebendig
Vorhandenen, beſuchte das Schauſpiel weit
eifriger, las gewiſſenhafter und ununterbroch¬
ner, ſo daß ich in dieſer Zeit Racine und
Moliere ganz, und von Corneille einen gro¬
ßen Theil durchzuarbeiten die Anhaltſamkeit
hatte.
Der Koͤnigs-Lieutenant wohnte noch im¬
mer in unſerm Hauſe. Er hatte ſein Be¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/266>, abgerufen am 24.11.2024.
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