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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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Weil ich sie jedoch nicht ganz aufgeben wollte,
so ließ ich aus meinem ersten Manuscript,
nach wenigen Veränderungen, eine saubere
Abschrift durch unsern Schreibenden anferti¬
gen, die ich denn meinem Vater überreichte
und dadurch soviel erlangte, daß er mich,
nach vollendetem Schauspiel, meine Abendkost
eine Zeitlang ruhig verzehren ließ.

Dieser mislungene Versuch hatte mich
nachdenklich gemacht, und ich wollte nunmehr
diese Theorieen, diese Gesetze, auf die sich
Jedermann berief, und die mir besonders
durch die Unart meines anmaaßlichen Mei¬
sters verdächtig geworden waren, unmittelbar
an den Quellen kennen lernen, welches mir
zwar nicht schwer doch mühsam wurde. Ich
las zunächst Corneilie's Abhandlung über die
drey Einheiten, und ersah wohl daraus, wie
man es haben wollte; warum man es aber
so verlangte, ward mir keineswegs deutlich,
und was das schlimmste war, ich gerieth

Weil ich ſie jedoch nicht ganz aufgeben wollte,
ſo ließ ich aus meinem erſten Manuſcript,
nach wenigen Veraͤnderungen, eine ſaubere
Abſchrift durch unſern Schreibenden anferti¬
gen, die ich denn meinem Vater uͤberreichte
und dadurch ſoviel erlangte, daß er mich,
nach vollendetem Schauſpiel, meine Abendkoſt
eine Zeitlang ruhig verzehren ließ.

Dieſer mislungene Verſuch hatte mich
nachdenklich gemacht, und ich wollte nunmehr
dieſe Theorieen, dieſe Geſetze, auf die ſich
Jedermann berief, und die mir beſonders
durch die Unart meines anmaaßlichen Mei¬
ſters verdaͤchtig geworden waren, unmittelbar
an den Quellen kennen lernen, welches mir
zwar nicht ſchwer doch muͤhſam wurde. Ich
las zunaͤchſt Corneilie's Abhandlung uͤber die
drey Einheiten, und erſah wohl daraus, wie
man es haben wollte; warum man es aber
ſo verlangte, ward mir keineswegs deutlich,
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[248/0264] Weil ich ſie jedoch nicht ganz aufgeben wollte, ſo ließ ich aus meinem erſten Manuſcript, nach wenigen Veraͤnderungen, eine ſaubere Abſchrift durch unſern Schreibenden anferti¬ gen, die ich denn meinem Vater uͤberreichte und dadurch ſoviel erlangte, daß er mich, nach vollendetem Schauſpiel, meine Abendkoſt eine Zeitlang ruhig verzehren ließ. Dieſer mislungene Verſuch hatte mich nachdenklich gemacht, und ich wollte nunmehr dieſe Theorieen, dieſe Geſetze, auf die ſich Jedermann berief, und die mir beſonders durch die Unart meines anmaaßlichen Mei¬ ſters verdaͤchtig geworden waren, unmittelbar an den Quellen kennen lernen, welches mir zwar nicht ſchwer doch muͤhſam wurde. Ich las zunaͤchſt Corneilie's Abhandlung uͤber die drey Einheiten, und erſah wohl daraus, wie man es haben wollte; warum man es aber ſo verlangte, ward mir keineswegs deutlich, und was das ſchlimmſte war, ich gerieth

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/264>, abgerufen am 02.09.2024.