Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein FremderDem Fremden, sinnreich und der List gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwischen uns Sey Wahrheit! Ich bin Orest! und dieses schuld'ge Haupt Senkt nach der Grube sich und sucht den Tod; In jeglicher Gestalt sey er willkommen! Wer du auch seyst, so wünsch' ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünsch' ich sie nicht. Du scheinst hier wider Willen zu verweilen; Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier. Es stürze mein entseelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer' hinab mein Blut, Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren! Geht ihr, daheim im schönen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen. Er entfernt sich. Iphigenie. So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter Des größten Vaters, endlich zu mir nieder! Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir! Iphigenie auf Tauris Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein FremderDem Fremden, ſinnreich und der Liſt gewohnt, Zur Falle vor die Füße; zwiſchen uns Sey Wahrheit! Ich bin Oreſt! und dieſes ſchuld’ge Haupt Senkt nach der Grube ſich und ſucht den Tod; In jeglicher Geſtalt ſey er willkommen! Wer du auch ſeyſt, ſo wünſch’ ich Rettung dir Und meinem Freunde; mir wünſch’ ich ſie nicht. Du ſcheinſt hier wider Willen zu verweilen; Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier. Es ſtürze mein entſeelter Leib vom Fels, Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut, Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren! Geht ihr, daheim im ſchönen Griechenland Ein neues Leben freundlich anzufangen. Er entfernt ſich. Iphigenie. So ſteigſt du denn, Erfüllung, ſchönſte Tochter Des größten Vaters, endlich zu mir nieder! Wie ungeheuer ſteht dein Bild vor mir! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#ORE"> <p><pb facs="#f0075" n="66"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi></fw><lb/> Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder<lb/> Dem Fremden, ſinnreich und der Liſt gewohnt,<lb/> Zur Falle vor die Füße; zwiſchen uns<lb/> Sey Wahrheit!<lb/> Ich bin Oreſt! und dieſes ſchuld’ge Haupt<lb/> Senkt nach der Grube ſich und ſucht den Tod;<lb/> In jeglicher Geſtalt ſey er willkommen!<lb/> Wer du auch ſeyſt, ſo wünſch’ ich Rettung dir<lb/> Und meinem Freunde; mir wünſch’ ich ſie nicht.<lb/> Du ſcheinſt hier wider Willen zu verweilen;<lb/> Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier.<lb/> Es ſtürze mein entſeelter Leib vom Fels,<lb/> Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut,<lb/> Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!<lb/> Geht ihr, daheim im ſchönen Griechenland<lb/> Ein neues Leben freundlich anzufangen.</p><lb/> <stage>Er entfernt ſich.</stage> </sp><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Iphigenie.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>So ſteigſt du denn, Erfüllung, ſchönſte Tochter<lb/> Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!<lb/> Wie ungeheuer ſteht dein Bild vor mir!<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [66/0075]
Iphigenie auf Tauris
Ein lügenhaft Gewebe knüpf’ ein Fremder
Dem Fremden, ſinnreich und der Liſt gewohnt,
Zur Falle vor die Füße; zwiſchen uns
Sey Wahrheit!
Ich bin Oreſt! und dieſes ſchuld’ge Haupt
Senkt nach der Grube ſich und ſucht den Tod;
In jeglicher Geſtalt ſey er willkommen!
Wer du auch ſeyſt, ſo wünſch’ ich Rettung dir
Und meinem Freunde; mir wünſch’ ich ſie nicht.
Du ſcheinſt hier wider Willen zu verweilen;
Erfindet Rath zur Flucht und laßt mich hier.
Es ſtürze mein entſeelter Leib vom Fels,
Es rauche bis zum Meer’ hinab mein Blut,
Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!
Geht ihr, daheim im ſchönen Griechenland
Ein neues Leben freundlich anzufangen.
Er entfernt ſich.
Iphigenie.
So ſteigſt du denn, Erfüllung, ſchönſte Tochter
Des größten Vaters, endlich zu mir nieder!
Wie ungeheuer ſteht dein Bild vor mir!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |