Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Ein Schauspiel. Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, dieMit Frucht und Segenskränzen angefüllt Die Schätze des Olympus niederbringen. Wie man den König an dem Übermaß Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig scheinen Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang' Und weise zubereiteten Geschenken. Denn ihr allein wißt was uns frommen kann, Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung Euch kindisch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der ungeduldig sie Ertrotzend, saure Speise sich zum Tod' Genießt. O laßt das lang' erwartete, Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten Des abgeschiednen Freundes, eitel mir Und dreyfach schmerzlicher vorübergehn! E 2
Ein Schauſpiel. Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, dieMit Frucht und Segenskränzen angefüllt Die Schätze des Olympus niederbringen. Wie man den König an dem Übermaß Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen Was Tauſenden ſchon Reichthum iſt; ſo kennt Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang’ Und weiſe zubereiteten Geſchenken. Denn ihr allein wißt was uns frommen kann, Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich, Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle Die Ausſicht uns verdeckt. Gelaſſen hört Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung Euch kindiſch bittet; aber eure Hand Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte; Und wehe dem, der ungeduldig ſie Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod’ Genießt. O laßt das lang’ erwartete, Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten Des abgeſchiednen Freundes, eitel mir Und dreyfach ſchmerzlicher vorübergehn! E 2
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Ein Schauſpiel.
Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die
Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt
Die Schätze des Olympus niederbringen.
Wie man den König an dem Übermaß
Der Gaben kennt: denn ihm muß wenig ſcheinen
Was Tauſenden ſchon Reichthum iſt; ſo kennt
Man euch, ihr Götter, an geſparten, lang’
Und weiſe zubereiteten Geſchenken.
Denn ihr allein wißt was uns frommen kann,
Und ſchaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
Wenn jedes Abends Stern und Nebelhülle
Die Ausſicht uns verdeckt. Gelaſſen hört
Ihr unſer Flehn, das um Beſchleunigung
Euch kindiſch bittet; aber eure Hand
Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte;
Und wehe dem, der ungeduldig ſie
Ertrotzend, ſaure Speiſe ſich zum Tod’
Genießt. O laßt das lang’ erwartete,
Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den
Schatten
Des abgeſchiednen Freundes, eitel mir
Und dreyfach ſchmerzlicher vorübergehn!
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