Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei in's willenlose Netz,
So entzweytest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Muth Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? - Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt;
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)
Helena (zu Faust).
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
Bejammernd beide, sag' ich schmerzlich Lebewohl!
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid
und Schleier bleiben ihm in den Armen.)

Phorkyas (zu Faust).
Halte fest was dir von allem übrig blieb.
Doch du ranntest unaufhaltsam
Frei in’s willenlose Netz,
So entzweytest du gewaltsam
Dich mit Sitte, mit Gesetz;
Doch zuletzt das höchste Sinnen
Gab dem reinen Muth Gewicht,
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage
Blutend alles Volk verstummt.
Doch erfrischet neue Lieder,
Steht nicht länger tief gebeugt;
Denn der Boden zeugt sie wieder,
Wie von je er sie gezeugt.
(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)
Helena (zu Faust).
Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;
Bejammernd beide, sag’ ich schmerzlich Lebewohl!
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.
(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid
und Schleier bleiben ihm in den Armen.)

Phorkyas (zu Faust).
Halte fest was dir von allem übrig blieb.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="act" n="1">
        <div type="scene" n="2">
          <sp>
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0256" n="244"/>
              <lg>
                <l rendition="#et">Doch du ranntest unaufhaltsam</l><lb/>
                <l rendition="#et">Frei in&#x2019;s willenlose Netz,</l><lb/>
                <l rendition="#et">So entzweytest du gewaltsam</l><lb/>
                <l rendition="#et">Dich mit Sitte, mit Gesetz;</l><lb/>
                <l rendition="#et">Doch zuletzt das höchste Sinnen</l><lb/>
                <l rendition="#et">Gab dem reinen Muth Gewicht,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Wolltest Herrliches gewinnen,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Aber es gelang dir nicht.</l><lb/>
              </lg>
              <lg>
                <l rendition="#et">Wem gelingt es? &#x2013; Trübe Frage,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Der das Schicksal sich vermummt,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Wenn am unglückseligsten Tage</l><lb/>
                <l rendition="#et">Blutend alles Volk verstummt.</l><lb/>
                <l rendition="#et">Doch erfrischet neue Lieder,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Steht nicht länger tief gebeugt;</l><lb/>
                <l rendition="#et">Denn der Boden zeugt sie wieder,</l><lb/>
                <l rendition="#et">Wie von je er sie gezeugt.</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </sp>
          <stage>(Völlige Pause. Die Musik hört auf.)</stage><lb/>
          <sp>
            <speaker> <hi rendition="#g">Helena</hi> </speaker>
            <stage>(zu Faust).</stage><lb/>
            <p>Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir:<lb/>
Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint.<lb/>
Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band;<lb/>
Bejammernd beide, sag&#x2019; ich schmerzlich Lebewohl!<lb/>
Und werfe mich noch einmal in die Arme dir.<lb/>
Persephoneia nimm den Knaben auf und mich.<lb/></p>
            <stage>(Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid<lb/>
und Schleier bleiben ihm in den Armen.)</stage><lb/>
          </sp>
          <sp>
            <speaker> <hi rendition="#g">Phorkyas</hi> </speaker>
            <stage>(zu Faust).</stage><lb/>
            <p>Halte fest was dir von allem übrig blieb.<lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0256] Doch du ranntest unaufhaltsam Frei in’s willenlose Netz, So entzweytest du gewaltsam Dich mit Sitte, mit Gesetz; Doch zuletzt das höchste Sinnen Gab dem reinen Muth Gewicht, Wolltest Herrliches gewinnen, Aber es gelang dir nicht. Wem gelingt es? – Trübe Frage, Der das Schicksal sich vermummt, Wenn am unglückseligsten Tage Blutend alles Volk verstummt. Doch erfrischet neue Lieder, Steht nicht länger tief gebeugt; Denn der Boden zeugt sie wieder, Wie von je er sie gezeugt. (Völlige Pause. Die Musik hört auf.) Helena (zu Faust). Ein altes Wort bewährt sich leider auch an mir: Daß Glück und Schönheit dauerhaft sich nicht vereint. Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band; Bejammernd beide, sag’ ich schmerzlich Lebewohl! Und werfe mich noch einmal in die Arme dir. Persephoneia nimm den Knaben auf und mich. (Sie umarmt Faust, das Körperliche verschwindet, Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen.) Phorkyas (zu Faust). Halte fest was dir von allem übrig blieb.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Freies Deutsches Hochstift (Frankfurter Goethe-Museum), Sign. III B / 23: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2014-03-12T12:00:00Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/256
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/256>, abgerufen am 09.05.2024.