Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832. Dryas. Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort, Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert. Mephistopheles. Warum denn nicht! - Ich sehe was, und staune! So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn: Dergleichen hab' ich nie gesehn, Die sind ja schlimmer als Alraune... Wird man die urverworfnen Sünden Im mindesten noch häßlich finden, Wenn man dieß Dreygethüm erblickt? Wir litten sie nicht auf den Schwellen Der grauenvollsten unsrer Höllen. Hier wurzelt's in der Schönheit Land, Das wird mit Ruhm antik genannt... Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren, Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus[-V]ampyren. Phorkyaden. Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage, Wer sich so nah an unsre Tempel wage. Mephistopheles. Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen Und euren Segen dreyfach zu empfahen. Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter, Doch, irr' ich nicht, weitläufiger Verwandter. Altwürdige Götter hab' ich schon erblickt, Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt; Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern, Ich sah sie gestern - oder ehegestern; Dryas. Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort, Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert. Mephistopheles. Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune! So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn: Dergleichen hab’ ich nie gesehn, Die sind ja schlimmer als Alraune… Wird man die urverworfnen Sünden Im mindesten noch häßlich finden, Wenn man dieß Dreygethüm erblickt? Wir litten sie nicht auf den Schwellen Der grauenvollsten unsrer Höllen. Hier wurzelt’s in der Schönheit Land, Das wird mit Ruhm antik genannt… Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren, Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus[-V]ampyren. Phorkyaden. Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage, Wer sich so nah an unsre Tempel wage. Mephistopheles. Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen Und euren Segen dreyfach zu empfahen. Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter, Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter. Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt, Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt; Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern, Ich sah sie gestern – oder ehegestern; <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <pb facs="#f0167" n="155"/> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Dryas.</hi> </speaker><lb/> <p>Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort,<lb/> Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Mephistopheles.</hi> </speaker><lb/> <p>Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune!<lb/> So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:<lb/> Dergleichen hab’ ich nie gesehn,<lb/> Die sind ja schlimmer als Alraune…<lb/> Wird man die urverworfnen Sünden<lb/> Im mindesten noch häßlich finden,<lb/> Wenn man dieß Dreygethüm erblickt?<lb/> Wir litten sie nicht auf den Schwellen<lb/> Der grauenvollsten unsrer Höllen.<lb/> Hier wurzelt’s in der Schönheit Land,<lb/> Das wird mit Ruhm antik genannt…<lb/> Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,<lb/> Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus<supplied>-V</supplied>ampyren.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Phorkyaden.</hi> </speaker><lb/> <p>Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,<lb/> Wer sich so nah an unsre Tempel wage.<lb/></p> </sp> <sp> <speaker> <hi rendition="#g">Mephistopheles.</hi> </speaker><lb/> <p>Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen<lb/> Und euren Segen dreyfach zu empfahen.<lb/> Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter,<lb/> Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.<lb/> Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,<lb/> Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt;<lb/> Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,<lb/> Ich sah sie <choice><sic>gesteru</sic><corr>gestern</corr></choice> – oder ehegestern;<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [155/0167]
Dryas.
Die Phorkyaden! Wage dich zum Ort,
Und sprich sie an, wenn dich nicht schauert.
Mephistopheles.
Warum denn nicht! – Ich sehe was, und staune!
So stolz ich bin, muß ich mir selbst gestehn:
Dergleichen hab’ ich nie gesehn,
Die sind ja schlimmer als Alraune…
Wird man die urverworfnen Sünden
Im mindesten noch häßlich finden,
Wenn man dieß Dreygethüm erblickt?
Wir litten sie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollsten unsrer Höllen.
Hier wurzelt’s in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antik genannt…
Sie regen sich, sie scheinen mich zu spüren,
Sie zwitschern pfeifend, Fledermaus-Vampyren.
Phorkyaden.
Gebt mir das Auge, Schwestern, daß es frage,
Wer sich so nah an unsre Tempel wage.
Mephistopheles.
Verehrteste! Erlaubt mir euch zu nahen
Und euren Segen dreyfach zu empfahen.
Ich trete vor, zwar noch als Unbekannter,
Doch, irr’ ich nicht, weitläufiger Verwandter.
Altwürdige Götter hab’ ich schon erblickt,
Vor Ops und Rhea tiefstens mich gebückt;
Die Parzen selbst, des Chaos, eure Schwestern,
Ich sah sie gestern – oder ehegestern;
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart, 1832, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_faust02_1832/167>, abgerufen am 17.07.2024. |