Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

eine ansehnliche Länge gegen seine Breite habe, und
das Violette weit genug vom Rothen entfernt und
durch andere Farben völlig von ihm getrennt sey, so
daß man es also für hinreichend abgeschieden halten
könne; wenn man alsdann einen Theil dieses violetten
Scheines durch eine Oeffnung gehen und durch ein
zweytes Prisma in derselben Richtung refrangiren lasse:
so erscheine unten abermals Roth (Gelbroth), welches
doch nach der Theorie keineswegs statt finden könne;
deswegen sie nicht anzunehmen sey.

Der gute Mariotte hatte hierin freylich vollkom-
men Recht, und das ganze Räthsel löst sich dadurch,
daß ein jedes Bild, es sey von welcher Farbe es wolle,
wenn es verrückt wird, gesäumt erscheint. Das vio-
lette Halblicht aber, das durch die kleine Oeffnung
durchfällt, ist nur als ein violettes Bild anzusehen, an
welchem der gelbrothe Rand mit einem purpurnen
Schein gar deutlich zu bemerken ist; die übrigen Rand-
farben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes
zusammen, oder werden von derselben verschlungen.

Der gute natürliche Mariotte kannte die Winkel-
züge Newtons und seiner Schule nicht. Denn nach
diesem lassen sich die Farben zwar sondern, aber nicht
völlig; Violett ist zwar violett, allein es stecken die
übrigen Farben auch noch drinn, welche nun aus dem
violetten Licht, bey der zweyten Refraction, wie die
sämmtlichen Farben aus dem weißen Lichte, bey der
ersten Refraction, geschieden werden. Dabey ist denn

eine anſehnliche Laͤnge gegen ſeine Breite habe, und
das Violette weit genug vom Rothen entfernt und
durch andere Farben voͤllig von ihm getrennt ſey, ſo
daß man es alſo fuͤr hinreichend abgeſchieden halten
koͤnne; wenn man alsdann einen Theil dieſes violetten
Scheines durch eine Oeffnung gehen und durch ein
zweytes Prisma in derſelben Richtung refrangiren laſſe:
ſo erſcheine unten abermals Roth (Gelbroth), welches
doch nach der Theorie keineswegs ſtatt finden koͤnne;
deswegen ſie nicht anzunehmen ſey.

Der gute Mariotte hatte hierin freylich vollkom-
men Recht, und das ganze Raͤthſel loͤſt ſich dadurch,
daß ein jedes Bild, es ſey von welcher Farbe es wolle,
wenn es verruͤckt wird, geſaͤumt erſcheint. Das vio-
lette Halblicht aber, das durch die kleine Oeffnung
durchfaͤllt, iſt nur als ein violettes Bild anzuſehen, an
welchem der gelbrothe Rand mit einem purpurnen
Schein gar deutlich zu bemerken iſt; die uͤbrigen Rand-
farben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes
zuſammen, oder werden von derſelben verſchlungen.

Der gute natuͤrliche Mariotte kannte die Winkel-
zuͤge Newtons und ſeiner Schule nicht. Denn nach
dieſem laſſen ſich die Farben zwar ſondern, aber nicht
voͤllig; Violett iſt zwar violett, allein es ſtecken die
uͤbrigen Farben auch noch drinn, welche nun aus dem
violetten Licht, bey der zweyten Refraction, wie die
ſaͤmmtlichen Farben aus dem weißen Lichte, bey der
erſten Refraction, geſchieden werden. Dabey iſt denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0481" n="447"/>
eine an&#x017F;ehnliche La&#x0364;nge gegen &#x017F;eine Breite habe, und<lb/>
das Violette weit genug vom Rothen entfernt und<lb/>
durch andere Farben vo&#x0364;llig von ihm getrennt &#x017F;ey, &#x017F;o<lb/>
daß man es al&#x017F;o fu&#x0364;r hinreichend abge&#x017F;chieden halten<lb/>
ko&#x0364;nne; wenn man alsdann einen Theil die&#x017F;es violetten<lb/>
Scheines durch eine Oeffnung gehen und durch ein<lb/>
zweytes Prisma in der&#x017F;elben Richtung refrangiren la&#x017F;&#x017F;e:<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;cheine unten abermals Roth (Gelbroth), welches<lb/>
doch nach der Theorie keineswegs &#x017F;tatt finden ko&#x0364;nne;<lb/>
deswegen &#x017F;ie nicht anzunehmen &#x017F;ey.</p><lb/>
              <p>Der gute Mariotte hatte hierin freylich vollkom-<lb/>
men Recht, und das ganze Ra&#x0364;th&#x017F;el lo&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich dadurch,<lb/>
daß ein jedes Bild, es &#x017F;ey von welcher Farbe es wolle,<lb/>
wenn es verru&#x0364;ckt wird, ge&#x017F;a&#x0364;umt er&#x017F;cheint. Das vio-<lb/>
lette Halblicht aber, das durch die kleine Oeffnung<lb/>
durchfa&#x0364;llt, i&#x017F;t nur als ein violettes Bild anzu&#x017F;ehen, an<lb/>
welchem der gelbrothe Rand mit einem purpurnen<lb/>
Schein gar deutlich zu bemerken i&#x017F;t; die u&#x0364;brigen Rand-<lb/>
farben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes<lb/>
zu&#x017F;ammen, oder werden von der&#x017F;elben ver&#x017F;chlungen.</p><lb/>
              <p>Der gute natu&#x0364;rliche Mariotte kannte die Winkel-<lb/>
zu&#x0364;ge Newtons und &#x017F;einer Schule nicht. Denn nach<lb/>
die&#x017F;em la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich die Farben zwar &#x017F;ondern, aber nicht<lb/>
vo&#x0364;llig; Violett i&#x017F;t zwar violett, allein es &#x017F;tecken die<lb/>
u&#x0364;brigen Farben auch noch drinn, welche nun aus dem<lb/>
violetten Licht, bey der zweyten Refraction, wie die<lb/>
&#x017F;a&#x0364;mmtlichen Farben aus dem weißen Lichte, bey der<lb/>
er&#x017F;ten Refraction, ge&#x017F;chieden werden. Dabey i&#x017F;t denn<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[447/0481] eine anſehnliche Laͤnge gegen ſeine Breite habe, und das Violette weit genug vom Rothen entfernt und durch andere Farben voͤllig von ihm getrennt ſey, ſo daß man es alſo fuͤr hinreichend abgeſchieden halten koͤnne; wenn man alsdann einen Theil dieſes violetten Scheines durch eine Oeffnung gehen und durch ein zweytes Prisma in derſelben Richtung refrangiren laſſe: ſo erſcheine unten abermals Roth (Gelbroth), welches doch nach der Theorie keineswegs ſtatt finden koͤnne; deswegen ſie nicht anzunehmen ſey. Der gute Mariotte hatte hierin freylich vollkom- men Recht, und das ganze Raͤthſel loͤſt ſich dadurch, daß ein jedes Bild, es ſey von welcher Farbe es wolle, wenn es verruͤckt wird, geſaͤumt erſcheint. Das vio- lette Halblicht aber, das durch die kleine Oeffnung durchfaͤllt, iſt nur als ein violettes Bild anzuſehen, an welchem der gelbrothe Rand mit einem purpurnen Schein gar deutlich zu bemerken iſt; die uͤbrigen Rand- farben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes zuſammen, oder werden von derſelben verſchlungen. Der gute natuͤrliche Mariotte kannte die Winkel- zuͤge Newtons und ſeiner Schule nicht. Denn nach dieſem laſſen ſich die Farben zwar ſondern, aber nicht voͤllig; Violett iſt zwar violett, allein es ſtecken die uͤbrigen Farben auch noch drinn, welche nun aus dem violetten Licht, bey der zweyten Refraction, wie die ſaͤmmtlichen Farben aus dem weißen Lichte, bey der erſten Refraction, geſchieden werden. Dabey iſt denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/481
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/481>, abgerufen am 14.05.2024.