hen war. Er malte zwar mit wenig freundlichem et- was hefenartigen Colorit; aber seine Werke zeigten nun durch zart angegebene Mitteltinten die Rundung der Theile, richtiges Vor- und Zurücktreten derselben und eine große noch nie gesehene Kraft in den Schatten.
Hieraus entstand nun in nächster Folge das mäch- tige Colorit des Fra Bartolomeo di San Marco, und die venezianische Schule blieb nicht zurück. Giorgio Barbarelli da Castel Franco, genannt Giorgione, ein Zögling des Giovan Bellini, bediente sich bey eben so kräftigen Schatten, noch glühenderer Tinten, und hatte es so weit gebracht, daß für den gleich auf ihn fol- genden, von demselben Lehrer unterrichteten Tiziano Ve- celli kaum noch ein kleiner Schritt zu thun übrig blieb, um sich zur höchsten uns bekannten Vortrefflichkeit des Colorits zu erheben.
Obgleich Raffael von Urbino und Andrea del Sar- to bewundernswürdige Werke geliefert, jener besonders Namen und Ruhm des ersten aller neueren Maler mit Recht verdient, und alle beyde ein treffliches Colorit be- sessen; so war doch diese Seite nicht die glänzendste ihrer Kunst, und beyde sind von ihren oben erwähnten Zeitgenossen, Giorgione und Tizian, übertroffen worden.
Ohngefähr dasselbe kann man auch von Albrecht Dürer, von Holbein und Lucas Kranach sagen. Dü- rern gelangen zwar zuweilen die hellen Tinten des Fleisches sehr wohl; allein die Schatten sind gewöhnlich
hen war. Er malte zwar mit wenig freundlichem et- was hefenartigen Colorit; aber ſeine Werke zeigten nun durch zart angegebene Mitteltinten die Rundung der Theile, richtiges Vor- und Zuruͤcktreten derſelben und eine große noch nie geſehene Kraft in den Schatten.
Hieraus entſtand nun in naͤchſter Folge das maͤch- tige Colorit des Fra Bartolomeo di San Marco, und die venezianiſche Schule blieb nicht zuruͤck. Giorgio Barbarelli da Caſtel Franco, genannt Giorgione, ein Zoͤgling des Giovan Bellini, bediente ſich bey eben ſo kraͤftigen Schatten, noch gluͤhenderer Tinten, und hatte es ſo weit gebracht, daß fuͤr den gleich auf ihn fol- genden, von demſelben Lehrer unterrichteten Tiziano Ve- celli kaum noch ein kleiner Schritt zu thun uͤbrig blieb, um ſich zur hoͤchſten uns bekannten Vortrefflichkeit des Colorits zu erheben.
Obgleich Raffael von Urbino und Andrea del Sar- to bewundernswuͤrdige Werke geliefert, jener beſonders Namen und Ruhm des erſten aller neueren Maler mit Recht verdient, und alle beyde ein treffliches Colorit be- ſeſſen; ſo war doch dieſe Seite nicht die glaͤnzendſte ihrer Kunſt, und beyde ſind von ihren oben erwaͤhnten Zeitgenoſſen, Giorgione und Tizian, uͤbertroffen worden.
Ohngefaͤhr daſſelbe kann man auch von Albrecht Duͤrer, von Holbein und Lucas Kranach ſagen. Duͤ- rern gelangen zwar zuweilen die hellen Tinten des Fleiſches ſehr wohl; allein die Schatten ſind gewoͤhnlich
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hen war. Er malte zwar mit wenig freundlichem et-
was hefenartigen Colorit; aber ſeine Werke zeigten
nun durch zart angegebene Mitteltinten die Rundung
der Theile, richtiges Vor- und Zuruͤcktreten derſelben
und eine große noch nie geſehene Kraft in den Schatten.
Hieraus entſtand nun in naͤchſter Folge das maͤch-
tige Colorit des Fra Bartolomeo di San Marco, und
die venezianiſche Schule blieb nicht zuruͤck. Giorgio
Barbarelli da Caſtel Franco, genannt Giorgione, ein
Zoͤgling des Giovan Bellini, bediente ſich bey eben ſo
kraͤftigen Schatten, noch gluͤhenderer Tinten, und hatte
es ſo weit gebracht, daß fuͤr den gleich auf ihn fol-
genden, von demſelben Lehrer unterrichteten Tiziano Ve-
celli kaum noch ein kleiner Schritt zu thun uͤbrig blieb,
um ſich zur hoͤchſten uns bekannten Vortrefflichkeit des
Colorits zu erheben.
Obgleich Raffael von Urbino und Andrea del Sar-
to bewundernswuͤrdige Werke geliefert, jener beſonders
Namen und Ruhm des erſten aller neueren Maler mit
Recht verdient, und alle beyde ein treffliches Colorit be-
ſeſſen; ſo war doch dieſe Seite nicht die glaͤnzendſte
ihrer Kunſt, und beyde ſind von ihren oben erwaͤhnten
Zeitgenoſſen, Giorgione und Tizian, uͤbertroffen worden.
Ohngefaͤhr daſſelbe kann man auch von Albrecht
Duͤrer, von Holbein und Lucas Kranach ſagen. Duͤ-
rern gelangen zwar zuweilen die hellen Tinten des
Fleiſches ſehr wohl; allein die Schatten ſind gewoͤhnlich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/390>, abgerufen am 24.11.2024.
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