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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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verclausulirt diese Widerlegung aufs neue dergestalt,
daß er sie völlig vernichtet. Auch darf man nur die
Vorrede des Ganzen und den Schluß des ersten Theils
lesen, so fällt seine Absicht schon deutlich genug in die
Augen. Bey allen diesen Verwahrungen zaudert er,
das Werk herauszugeben, das bey seinem Tode völlig
fertig liegt, wie es denn auch drey Jahre nach dem-
selben, und so viel sich bemerken läßt, ohne Verstümm-
lung erscheint.

Indem er nun das Licht als Substanz behandelt,
so finden wir ihn auf dem Wege, auf dem wir Cartesius,
De la Chambre und Vossius wandeln sahen, nur betritt
er denselben mit mehr Ernst und Sicherheit und zugleich
mit mehr Vorsicht und Zartheit. Seine Naturkenntniß
überhaupt ist höchst schätzenswerth. Erfahrungen und
Versuche, diese Gegenstände betreffend, sind vor ihm
von keinem so vollständig zusammengebracht worden.
Freylich stellt er sie alle zurecht, um seine Erklärungs-
art zu begründen, doch kann man ihm nachsagen, daß
er keine Erfahrung, keinen Versuch entstelle, um ihn
seiner Meynung anzupassen.

Das Licht ist ihm also eine Substanz, im physi-
schen Sinne eine Flüssigkeit, die er jedoch aufs äußer-
ste zu verfeinern sucht. Durch Beyspiele und Gleich-
nisse will er uns von der Zartheit eines so subtilen
materiellen Wesens, das gleichsam nur wie ein geisti-
ger Aushauch wirkt, überzeugen. Er führt die Lehre
vom Magneten zu diesem Zwecke umständlich durch,

verclauſulirt dieſe Widerlegung aufs neue dergeſtalt,
daß er ſie voͤllig vernichtet. Auch darf man nur die
Vorrede des Ganzen und den Schluß des erſten Theils
leſen, ſo faͤllt ſeine Abſicht ſchon deutlich genug in die
Augen. Bey allen dieſen Verwahrungen zaudert er,
das Werk herauszugeben, das bey ſeinem Tode voͤllig
fertig liegt, wie es denn auch drey Jahre nach dem-
ſelben, und ſo viel ſich bemerken laͤßt, ohne Verſtuͤmm-
lung erſcheint.

Indem er nun das Licht als Subſtanz behandelt,
ſo finden wir ihn auf dem Wege, auf dem wir Carteſius,
De la Chambre und Voſſius wandeln ſahen, nur betritt
er denſelben mit mehr Ernſt und Sicherheit und zugleich
mit mehr Vorſicht und Zartheit. Seine Naturkenntniß
uͤberhaupt iſt hoͤchſt ſchaͤtzenswerth. Erfahrungen und
Verſuche, dieſe Gegenſtaͤnde betreffend, ſind vor ihm
von keinem ſo vollſtaͤndig zuſammengebracht worden.
Freylich ſtellt er ſie alle zurecht, um ſeine Erklaͤrungs-
art zu begruͤnden, doch kann man ihm nachſagen, daß
er keine Erfahrung, keinen Verſuch entſtelle, um ihn
ſeiner Meynung anzupaſſen.

Das Licht iſt ihm alſo eine Subſtanz, im phyſi-
ſchen Sinne eine Fluͤſſigkeit, die er jedoch aufs aͤußer-
ſte zu verfeinern ſucht. Durch Beyſpiele und Gleich-
niſſe will er uns von der Zartheit eines ſo ſubtilen
materiellen Weſens, das gleichſam nur wie ein geiſti-
ger Aushauch wirkt, uͤberzeugen. Er fuͤhrt die Lehre
vom Magneten zu dieſem Zwecke umſtaͤndlich durch,

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[308/0342] verclauſulirt dieſe Widerlegung aufs neue dergeſtalt, daß er ſie voͤllig vernichtet. Auch darf man nur die Vorrede des Ganzen und den Schluß des erſten Theils leſen, ſo faͤllt ſeine Abſicht ſchon deutlich genug in die Augen. Bey allen dieſen Verwahrungen zaudert er, das Werk herauszugeben, das bey ſeinem Tode voͤllig fertig liegt, wie es denn auch drey Jahre nach dem- ſelben, und ſo viel ſich bemerken laͤßt, ohne Verſtuͤmm- lung erſcheint. Indem er nun das Licht als Subſtanz behandelt, ſo finden wir ihn auf dem Wege, auf dem wir Carteſius, De la Chambre und Voſſius wandeln ſahen, nur betritt er denſelben mit mehr Ernſt und Sicherheit und zugleich mit mehr Vorſicht und Zartheit. Seine Naturkenntniß uͤberhaupt iſt hoͤchſt ſchaͤtzenswerth. Erfahrungen und Verſuche, dieſe Gegenſtaͤnde betreffend, ſind vor ihm von keinem ſo vollſtaͤndig zuſammengebracht worden. Freylich ſtellt er ſie alle zurecht, um ſeine Erklaͤrungs- art zu begruͤnden, doch kann man ihm nachſagen, daß er keine Erfahrung, keinen Verſuch entſtelle, um ihn ſeiner Meynung anzupaſſen. Das Licht iſt ihm alſo eine Subſtanz, im phyſi- ſchen Sinne eine Fluͤſſigkeit, die er jedoch aufs aͤußer- ſte zu verfeinern ſucht. Durch Beyſpiele und Gleich- niſſe will er uns von der Zartheit eines ſo ſubtilen materiellen Weſens, das gleichſam nur wie ein geiſti- ger Aushauch wirkt, uͤberzeugen. Er fuͤhrt die Lehre vom Magneten zu dieſem Zwecke umſtaͤndlich durch,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/342>, abgerufen am 28.04.2024.