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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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ter. Sein Werk, wodurch er uns bekannt, wodurch
er überhaupt berühmt geworden, führt den Titel;
Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bo-
noniae
1665. Man bemerke, daß auch hier nur des
Lichts und nicht des Schattens erwähnt ist, und er-
warte, daß Grimaldi sich als ein solcher zeigen werde,
der die Farbenerscheinungen aus dem Licht entwickelt.

Hier haben wir nun das dritte Werk in unserm
Fache, das sich von einem Jesuitischen Ordensgeistlichen
herschreibt. Wenn Aguilonius sorgfältig und umständ-
lich, Kircher heiter und weitläuftig ist, so muß man
den Verfasser des gegenwärtigen Buchs höchst consequent
nennen. Es ist reich in Absicht auf Erfahrungen und
Experimente, ausführlich und methodisch in seiner Be-
handlung, und man sieht wohl, daß der Verfasser in
allen Subtilitäten der Dialectik sehr geübt ist.

Vor allem aber ist zu bemerken, daß Form und
Darstellung problematisch, ja ironisch sind, welches
einer so ernsten folgerechten Arbeit eine ganz wunderli-
che Wendung gibt. Galilei hatte sich schon einer ähnli-
chen Wendung bedient, in den Dialogen, wegen wel-
cher er von den Jesuiten so heftig verfolgt wurde.
Hier bedient sich ein Jesuit, nach etwa zwanzig Jah-
ren, desselben Kunstgriffs. Im ersten Buch, das 472
gespaltene Quartseiten stark ist, thut er alles mögliche,
um zu zeigen, daß das Licht eine Substanz sey; im
zweyten Buch, welches nur 63 gespaltene Seiten ent-
hält, widerlegt er scheinbar seine vorige Meynung und

20 *

ter. Sein Werk, wodurch er uns bekannt, wodurch
er uͤberhaupt beruͤhmt geworden, fuͤhrt den Titel;
Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bo-
noniae
1665. Man bemerke, daß auch hier nur des
Lichts und nicht des Schattens erwaͤhnt iſt, und er-
warte, daß Grimaldi ſich als ein ſolcher zeigen werde,
der die Farbenerſcheinungen aus dem Licht entwickelt.

Hier haben wir nun das dritte Werk in unſerm
Fache, das ſich von einem Jeſuitiſchen Ordensgeiſtlichen
herſchreibt. Wenn Aguilonius ſorgfaͤltig und umſtaͤnd-
lich, Kircher heiter und weitlaͤuftig iſt, ſo muß man
den Verfaſſer des gegenwaͤrtigen Buchs hoͤchſt conſequent
nennen. Es iſt reich in Abſicht auf Erfahrungen und
Experimente, ausfuͤhrlich und methodiſch in ſeiner Be-
handlung, und man ſieht wohl, daß der Verfaſſer in
allen Subtilitaͤten der Dialectik ſehr geuͤbt iſt.

Vor allem aber iſt zu bemerken, daß Form und
Darſtellung problematiſch, ja ironiſch ſind, welches
einer ſo ernſten folgerechten Arbeit eine ganz wunderli-
che Wendung gibt. Galilei hatte ſich ſchon einer aͤhnli-
chen Wendung bedient, in den Dialogen, wegen wel-
cher er von den Jeſuiten ſo heftig verfolgt wurde.
Hier bedient ſich ein Jeſuit, nach etwa zwanzig Jah-
ren, deſſelben Kunſtgriffs. Im erſten Buch, das 472
geſpaltene Quartſeiten ſtark iſt, thut er alles moͤgliche,
um zu zeigen, daß das Licht eine Subſtanz ſey; im
zweyten Buch, welches nur 63 geſpaltene Seiten ent-
haͤlt, widerlegt er ſcheinbar ſeine vorige Meynung und

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[307/0341] ter. Sein Werk, wodurch er uns bekannt, wodurch er uͤberhaupt beruͤhmt geworden, fuͤhrt den Titel; Physico-Mathesis de Lumine, Coloribus et Iride, Bo- noniae 1665. Man bemerke, daß auch hier nur des Lichts und nicht des Schattens erwaͤhnt iſt, und er- warte, daß Grimaldi ſich als ein ſolcher zeigen werde, der die Farbenerſcheinungen aus dem Licht entwickelt. Hier haben wir nun das dritte Werk in unſerm Fache, das ſich von einem Jeſuitiſchen Ordensgeiſtlichen herſchreibt. Wenn Aguilonius ſorgfaͤltig und umſtaͤnd- lich, Kircher heiter und weitlaͤuftig iſt, ſo muß man den Verfaſſer des gegenwaͤrtigen Buchs hoͤchſt conſequent nennen. Es iſt reich in Abſicht auf Erfahrungen und Experimente, ausfuͤhrlich und methodiſch in ſeiner Be- handlung, und man ſieht wohl, daß der Verfaſſer in allen Subtilitaͤten der Dialectik ſehr geuͤbt iſt. Vor allem aber iſt zu bemerken, daß Form und Darſtellung problematiſch, ja ironiſch ſind, welches einer ſo ernſten folgerechten Arbeit eine ganz wunderli- che Wendung gibt. Galilei hatte ſich ſchon einer aͤhnli- chen Wendung bedient, in den Dialogen, wegen wel- cher er von den Jeſuiten ſo heftig verfolgt wurde. Hier bedient ſich ein Jeſuit, nach etwa zwanzig Jah- ren, deſſelben Kunſtgriffs. Im erſten Buch, das 472 geſpaltene Quartſeiten ſtark iſt, thut er alles moͤgliche, um zu zeigen, daß das Licht eine Subſtanz ſey; im zweyten Buch, welches nur 63 geſpaltene Seiten ent- haͤlt, widerlegt er ſcheinbar ſeine vorige Meynung und 20 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/341>, abgerufen am 28.04.2024.