Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

haben. Das prismatische Bild wird sich auf seinem
Wege vom Fenster bis zur Tafel kaum auszeichnen;
man errege Staub und besonders von weißem Puder,
so wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur
Tafel begleiten können: denn die Intention sich abzu-
bilden wird jeden Augenblik erfüllt, eben so als wenn
ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade
durch sie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der
Zweck, das Regiment zu erreichen, erfüllt und, wenn
wir so sagen dürfen, ricochetirt wird. Und so
schließen wir mit einem sinnlichen Gleichniß, nachdem
wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch
eine übersinnliche Gleichnißrede begreiflich zu machen
gesucht haben.

Wie man nun zu sagen pflegt, daß jedes Gleich-
niß hinke, welches eigentlich nur soviel heißen will,
daß es nicht identisch mit dem Verglichenen zusammen-
falle; so muß eben dieses sogleich bemerkt werden,
wenn man ein Gleichniß zu lange und zu umständlich
durchführt, da die Unähnlichkeiten, welche durch den
Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach
in einer traurigen, ja sogar abgeschmackten Realität
zum Vorschein kommen. So ergeht es daher den
Philosophen oft auf diese Weise, die nicht bemerken,
daß sie mit einer Gleichnißrede anfangen und im
Durch- und Ausführen derselben immer mehr ins Hin-
ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen
Bildern (speciebus); anstatt daß man zufrieden ge-
wesen wäre, durch ein geistiges Gleichniß diese un-

haben. Das prismatiſche Bild wird ſich auf ſeinem
Wege vom Fenſter bis zur Tafel kaum auszeichnen;
man errege Staub und beſonders von weißem Puder,
ſo wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur
Tafel begleiten koͤnnen: denn die Intention ſich abzu-
bilden wird jeden Augenblik erfuͤllt, eben ſo als wenn
ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade
durch ſie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der
Zweck, das Regiment zu erreichen, erfuͤllt und, wenn
wir ſo ſagen duͤrfen, ricochetirt wird. Und ſo
ſchließen wir mit einem ſinnlichen Gleichniß, nachdem
wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch
eine uͤberſinnliche Gleichnißrede begreiflich zu machen
geſucht haben.

Wie man nun zu ſagen pflegt, daß jedes Gleich-
niß hinke, welches eigentlich nur ſoviel heißen will,
daß es nicht identiſch mit dem Verglichenen zuſammen-
falle; ſo muß eben dieſes ſogleich bemerkt werden,
wenn man ein Gleichniß zu lange und zu umſtaͤndlich
durchfuͤhrt, da die Unaͤhnlichkeiten, welche durch den
Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach
in einer traurigen, ja ſogar abgeſchmackten Realitaͤt
zum Vorſchein kommen. So ergeht es daher den
Philoſophen oft auf dieſe Weiſe, die nicht bemerken,
daß ſie mit einer Gleichnißrede anfangen und im
Durch- und Ausfuͤhren derſelben immer mehr ins Hin-
ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen
Bildern (speciebus); anſtatt daß man zufrieden ge-
weſen waͤre, durch ein geiſtiges Gleichniß dieſe un-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0306" n="272"/>
haben. Das prismati&#x017F;che Bild wird &#x017F;ich auf &#x017F;einem<lb/>
Wege vom Fen&#x017F;ter bis zur Tafel kaum auszeichnen;<lb/>
man errege Staub und be&#x017F;onders von weißem Puder,<lb/>
&#x017F;o wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur<lb/>
Tafel begleiten ko&#x0364;nnen: denn die Intention &#x017F;ich abzu-<lb/>
bilden wird jeden Augenblik erfu&#x0364;llt, eben &#x017F;o als wenn<lb/>
ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade<lb/>
durch &#x017F;ie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der<lb/>
Zweck, das Regiment zu erreichen, erfu&#x0364;llt und, wenn<lb/>
wir &#x017F;o &#x017F;agen du&#x0364;rfen, ricochetirt wird. Und &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chließen wir mit einem &#x017F;innlichen Gleichniß, nachdem<lb/>
wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch<lb/>
eine u&#x0364;ber&#x017F;innliche Gleichnißrede begreiflich zu machen<lb/>
ge&#x017F;ucht haben.</p><lb/>
          <p>Wie man nun zu &#x017F;agen pflegt, daß jedes Gleich-<lb/>
niß hinke, welches eigentlich nur &#x017F;oviel heißen will,<lb/>
daß es nicht identi&#x017F;ch mit dem Verglichenen zu&#x017F;ammen-<lb/>
falle; &#x017F;o muß eben die&#x017F;es &#x017F;ogleich bemerkt werden,<lb/>
wenn man ein Gleichniß zu lange und zu um&#x017F;ta&#x0364;ndlich<lb/>
durchfu&#x0364;hrt, da die Una&#x0364;hnlichkeiten, welche durch den<lb/>
Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach<lb/>
in einer traurigen, ja &#x017F;ogar abge&#x017F;chmackten Realita&#x0364;t<lb/>
zum Vor&#x017F;chein kommen. So ergeht es daher den<lb/>
Philo&#x017F;ophen oft auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e, die nicht bemerken,<lb/>
daß &#x017F;ie mit einer Gleichnißrede anfangen und im<lb/>
Durch- und Ausfu&#x0364;hren der&#x017F;elben immer mehr ins Hin-<lb/>
ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen<lb/>
Bildern (<hi rendition="#aq">speciebus</hi>); an&#x017F;tatt daß man zufrieden ge-<lb/>
we&#x017F;en wa&#x0364;re, durch ein gei&#x017F;tiges Gleichniß die&#x017F;e un-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[272/0306] haben. Das prismatiſche Bild wird ſich auf ſeinem Wege vom Fenſter bis zur Tafel kaum auszeichnen; man errege Staub und beſonders von weißem Puder, ſo wird man es vom Austritt aus dem Prisma bis zur Tafel begleiten koͤnnen: denn die Intention ſich abzu- bilden wird jeden Augenblik erfuͤllt, eben ſo als wenn ich einer Colonne Soldaten entgegen und alsdann gerade durch ſie hindurch ginge, wo mit jedem Manne der Zweck, das Regiment zu erreichen, erfuͤllt und, wenn wir ſo ſagen duͤrfen, ricochetirt wird. Und ſo ſchließen wir mit einem ſinnlichen Gleichniß, nachdem wir etwas, das nicht in die Sinne fallen kann, durch eine uͤberſinnliche Gleichnißrede begreiflich zu machen geſucht haben. Wie man nun zu ſagen pflegt, daß jedes Gleich- niß hinke, welches eigentlich nur ſoviel heißen will, daß es nicht identiſch mit dem Verglichenen zuſammen- falle; ſo muß eben dieſes ſogleich bemerkt werden, wenn man ein Gleichniß zu lange und zu umſtaͤndlich durchfuͤhrt, da die Unaͤhnlichkeiten, welche durch den Glanz des Witzes verborgen wurden, nach und nach in einer traurigen, ja ſogar abgeſchmackten Realitaͤt zum Vorſchein kommen. So ergeht es daher den Philoſophen oft auf dieſe Weiſe, die nicht bemerken, daß ſie mit einer Gleichnißrede anfangen und im Durch- und Ausfuͤhren derſelben immer mehr ins Hin- ken gerathen. So ging es auch mit den intentionellen Bildern (speciebus); anſtatt daß man zufrieden ge- weſen waͤre, durch ein geiſtiges Gleichniß dieſe un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/306
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/306>, abgerufen am 28.04.2024.