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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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zu irgend einem Ziele, es stehe uns nun vor den Au-
gen, oder bloß vor den Gedanken; so ist zwischen dem
Ziel und dem Vorsatz etwas das beyde enthält, näm-
lich die That, das Fortschreiten.

Dieses Fortschreiten ist so gut als das Ziel: denn
dieses wird gewiß erreicht, wenn der Entschluß fest
und die Bedingungen zulänglich sind; und doch kann
man dieses Fortschreiten immer nur intentionell nen-
nen, weil der Wanderer noch immer so gut vor dem
letzten Schritt als vor dem ersten paralysirt wer-
den kann.

Intentionelle Farben, intentionelle Mischungen
derselben sind also solche, die innerhalb des Durch-
sichtigen der Bedingung sich zu manifestiren entbehren.
Die Bedingung aber, worunter jede Farbe nur er-
scheinen kann, ist eine doppelte: sie muß entweder ein
Helles vor sich und ein Dunkles hinter sich, oder ein
Dunkles vor sich und ein Helles hinter sich haben,
wie von uns anderwärts umständlich ausgeführt wor-
den. Doch stehe hier noch ein Beyspiel, um dem Ge-
sagten die möglichste Deutlichkeit zu geben.

Das Sonnenlicht falle in ein reines Zimmer zu
den offnen Fenstern herein und man wird in der Luft,
in dem Durchsichtigen, den Weg des Lichtes nicht
bemerken; man errege Staub und sogleich ist der Weg,
den es nimmt, bezeichnet. Dasselbe gilt von den apparen-
ten Farben, welche ein so gewaltsames Licht hinter sich

zu irgend einem Ziele, es ſtehe uns nun vor den Au-
gen, oder bloß vor den Gedanken; ſo iſt zwiſchen dem
Ziel und dem Vorſatz etwas das beyde enthaͤlt, naͤm-
lich die That, das Fortſchreiten.

Dieſes Fortſchreiten iſt ſo gut als das Ziel: denn
dieſes wird gewiß erreicht, wenn der Entſchluß feſt
und die Bedingungen zulaͤnglich ſind; und doch kann
man dieſes Fortſchreiten immer nur intentionell nen-
nen, weil der Wanderer noch immer ſo gut vor dem
letzten Schritt als vor dem erſten paralyſirt wer-
den kann.

Intentionelle Farben, intentionelle Miſchungen
derſelben ſind alſo ſolche, die innerhalb des Durch-
ſichtigen der Bedingung ſich zu manifeſtiren entbehren.
Die Bedingung aber, worunter jede Farbe nur er-
ſcheinen kann, iſt eine doppelte: ſie muß entweder ein
Helles vor ſich und ein Dunkles hinter ſich, oder ein
Dunkles vor ſich und ein Helles hinter ſich haben,
wie von uns anderwaͤrts umſtaͤndlich ausgefuͤhrt wor-
den. Doch ſtehe hier noch ein Beyſpiel, um dem Ge-
ſagten die moͤglichſte Deutlichkeit zu geben.

Das Sonnenlicht falle in ein reines Zimmer zu
den offnen Fenſtern herein und man wird in der Luft,
in dem Durchſichtigen, den Weg des Lichtes nicht
bemerken; man errege Staub und ſogleich iſt der Weg,
den es nimmt, bezeichnet. Daſſelbe gilt von den apparen-
ten Farben, welche ein ſo gewaltſames Licht hinter ſich

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[271/0305] zu irgend einem Ziele, es ſtehe uns nun vor den Au- gen, oder bloß vor den Gedanken; ſo iſt zwiſchen dem Ziel und dem Vorſatz etwas das beyde enthaͤlt, naͤm- lich die That, das Fortſchreiten. Dieſes Fortſchreiten iſt ſo gut als das Ziel: denn dieſes wird gewiß erreicht, wenn der Entſchluß feſt und die Bedingungen zulaͤnglich ſind; und doch kann man dieſes Fortſchreiten immer nur intentionell nen- nen, weil der Wanderer noch immer ſo gut vor dem letzten Schritt als vor dem erſten paralyſirt wer- den kann. Intentionelle Farben, intentionelle Miſchungen derſelben ſind alſo ſolche, die innerhalb des Durch- ſichtigen der Bedingung ſich zu manifeſtiren entbehren. Die Bedingung aber, worunter jede Farbe nur er- ſcheinen kann, iſt eine doppelte: ſie muß entweder ein Helles vor ſich und ein Dunkles hinter ſich, oder ein Dunkles vor ſich und ein Helles hinter ſich haben, wie von uns anderwaͤrts umſtaͤndlich ausgefuͤhrt wor- den. Doch ſtehe hier noch ein Beyſpiel, um dem Ge- ſagten die moͤglichſte Deutlichkeit zu geben. Das Sonnenlicht falle in ein reines Zimmer zu den offnen Fenſtern herein und man wird in der Luft, in dem Durchſichtigen, den Weg des Lichtes nicht bemerken; man errege Staub und ſogleich iſt der Weg, den es nimmt, bezeichnet. Daſſelbe gilt von den apparen- ten Farben, welche ein ſo gewaltſames Licht hinter ſich

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/305>, abgerufen am 28.04.2024.