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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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wollen wir unsers Laudsmannes Georg Agricola geden-
ken, der schon in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahr-
hunderts, in Absicht auf das Bergwesen, dasjenige ge-
leistet was wir für unser Fach hätten wünschen mögen.
Er hatte freylich das Glück, in ein abgeschlossenes, schon
seit geraumer Zeit behandeltes, in sich höchst mannig-
faltiges und doch immer auf einen Zweck hingeleitetes
Natur- und Kunstwesen einzutreten. Gebirge aufge-
schlossen durch Bergbau, bedeutende Naturproducte roh
aufgesucht, gewältigt, behandelt, bearbeitet, gesondert,
gereinigt und menschlichen Zwecken unterworfen: dieses
war es, was ihn als einen Dritten, denn er lebte im
Gebirg als Bergarzt, höchlich interessirte, indem er
selbst eine tüchtige und wohl um sich der schauende Na-
tur war, dabey Kenner des Alterthums, gebildet durch
die alten Sprachen, sich bequem und anmuthig darin
ausdrückend. So bewundern wir ihn noch jetzt in sei-
nen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und
neuen Bergbaus, alter und neuer Erz- und Steinkunde
umfassen und uns als ein köstliches Geschenk vorlie-
gen. Er war 1494 geboren und starb 1555, lebte also
in der höchsten und schönsten Zeit der neu hervorbre-
chenden, aber auch sogleich ihren höchsten Gipfel errei-
chenden Kunst und Literatur. Wir errinnern uns nicht,
daß Baco des Agricola gedenke, auch nicht, daß er
das, was wir an diesem Manne so höchlich schätzen,
an andern zu würdigen gewußt habe.

Ein Blick auf die Umstände, unter welchen beyde
Männer gelebt, giebt zu einer heitern Vergleichung An-

wollen wir unſers Laudsmannes Georg Agricola geden-
ken, der ſchon in der erſten Haͤlfte des ſechzehnten Jahr-
hunderts, in Abſicht auf das Bergweſen, dasjenige ge-
leiſtet was wir fuͤr unſer Fach haͤtten wuͤnſchen moͤgen.
Er hatte freylich das Gluͤck, in ein abgeſchloſſenes, ſchon
ſeit geraumer Zeit behandeltes, in ſich hoͤchſt mannig-
faltiges und doch immer auf einen Zweck hingeleitetes
Natur- und Kunſtweſen einzutreten. Gebirge aufge-
ſchloſſen durch Bergbau, bedeutende Naturproducte roh
aufgeſucht, gewaͤltigt, behandelt, bearbeitet, geſondert,
gereinigt und menſchlichen Zwecken unterworfen: dieſes
war es, was ihn als einen Dritten, denn er lebte im
Gebirg als Bergarzt, hoͤchlich intereſſirte, indem er
ſelbſt eine tuͤchtige und wohl um ſich der ſchauende Na-
tur war, dabey Kenner des Alterthums, gebildet durch
die alten Sprachen, ſich bequem und anmuthig darin
ausdruͤckend. So bewundern wir ihn noch jetzt in ſei-
nen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und
neuen Bergbaus, alter und neuer Erz- und Steinkunde
umfaſſen und uns als ein koͤſtliches Geſchenk vorlie-
gen. Er war 1494 geboren und ſtarb 1555, lebte alſo
in der hoͤchſten und ſchoͤnſten Zeit der neu hervorbre-
chenden, aber auch ſogleich ihren hoͤchſten Gipfel errei-
chenden Kunſt und Literatur. Wir errinnern uns nicht,
daß Baco des Agricola gedenke, auch nicht, daß er
das, was wir an dieſem Manne ſo hoͤchlich ſchaͤtzen,
an andern zu wuͤrdigen gewußt habe.

Ein Blick auf die Umſtaͤnde, unter welchen beyde
Maͤnner gelebt, giebt zu einer heitern Vergleichung An-

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[237/0271] wollen wir unſers Laudsmannes Georg Agricola geden- ken, der ſchon in der erſten Haͤlfte des ſechzehnten Jahr- hunderts, in Abſicht auf das Bergweſen, dasjenige ge- leiſtet was wir fuͤr unſer Fach haͤtten wuͤnſchen moͤgen. Er hatte freylich das Gluͤck, in ein abgeſchloſſenes, ſchon ſeit geraumer Zeit behandeltes, in ſich hoͤchſt mannig- faltiges und doch immer auf einen Zweck hingeleitetes Natur- und Kunſtweſen einzutreten. Gebirge aufge- ſchloſſen durch Bergbau, bedeutende Naturproducte roh aufgeſucht, gewaͤltigt, behandelt, bearbeitet, geſondert, gereinigt und menſchlichen Zwecken unterworfen: dieſes war es, was ihn als einen Dritten, denn er lebte im Gebirg als Bergarzt, hoͤchlich intereſſirte, indem er ſelbſt eine tuͤchtige und wohl um ſich der ſchauende Na- tur war, dabey Kenner des Alterthums, gebildet durch die alten Sprachen, ſich bequem und anmuthig darin ausdruͤckend. So bewundern wir ihn noch jetzt in ſei- nen Werken, welche den ganzen Kreis des alten und neuen Bergbaus, alter und neuer Erz- und Steinkunde umfaſſen und uns als ein koͤſtliches Geſchenk vorlie- gen. Er war 1494 geboren und ſtarb 1555, lebte alſo in der hoͤchſten und ſchoͤnſten Zeit der neu hervorbre- chenden, aber auch ſogleich ihren hoͤchſten Gipfel errei- chenden Kunſt und Literatur. Wir errinnern uns nicht, daß Baco des Agricola gedenke, auch nicht, daß er das, was wir an dieſem Manne ſo hoͤchlich ſchaͤtzen, an andern zu wuͤrdigen gewußt habe. Ein Blick auf die Umſtaͤnde, unter welchen beyde Maͤnner gelebt, giebt zu einer heitern Vergleichung An-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/271>, abgerufen am 26.11.2024.