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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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cons, daß er die mechanischen Bemühungen der Hand-
werker und Fabricanten zu sehr verachtete. Handwer-
ker und Künstler, die einen beschränkten Kreis zeitlebens
durcharbeiten, deren Existenz vom Gelingen irgend eines
Vorsatzes abhängt, solche werden weit eher vom Parti-
cularen zum Universalen gelangen, als der Philosoph
auf Baconischem Wege. Sie werden vom Pfuschen zum
Versuchen, vom Versuch zur Vorschrift, und was noch
mehr ist, zum gewissen Handgriff vorschreiten, und nicht
allein reden sondern thun und durch das Thun das
Mögliche darstellen; ja sie werden es darstellen müssen,
wenn sie es sogar läugnen sollten, wie der außeror-
dentliche Fall sich bey Entdeckung der achromatischen
Fernröhre gefunden hat.

Technischen und artistischen abgeschlossenen Thätig-
keitskreisen sind die Wissenschaften mehr schuldig als
hervorgehoben wird, weil man auf jene treu fleißige
Menschen oft nur als auf werkzeugliche Thätler hinab-
sieht. Hätte jemand zu Ende des sechzehnten Jahr-
hunderts sich in die Werkstätten der Färber und Ma-
ler begeben und nur alles redlich und consequent aufge-
zeichnet, was er dort gefunden; so hätten wir einen
weit vollständigeren und methodischeren Beytrag zu un-
serm gegenwärtigen Zweck, als er uns durch Beant-
wortung tausend Baconischer Fragen nicht hätte werden
können.

Damit man aber nicht denke, daß dieses nur ein
frommer Wunsch oder eine Forderung ins Blaue sey, so

cons, daß er die mechaniſchen Bemuͤhungen der Hand-
werker und Fabricanten zu ſehr verachtete. Handwer-
ker und Kuͤnſtler, die einen beſchraͤnkten Kreis zeitlebens
durcharbeiten, deren Exiſtenz vom Gelingen irgend eines
Vorſatzes abhaͤngt, ſolche werden weit eher vom Parti-
cularen zum Univerſalen gelangen, als der Philoſoph
auf Baconiſchem Wege. Sie werden vom Pfuſchen zum
Verſuchen, vom Verſuch zur Vorſchrift, und was noch
mehr iſt, zum gewiſſen Handgriff vorſchreiten, und nicht
allein reden ſondern thun und durch das Thun das
Moͤgliche darſtellen; ja ſie werden es darſtellen muͤſſen,
wenn ſie es ſogar laͤugnen ſollten, wie der außeror-
dentliche Fall ſich bey Entdeckung der achromatiſchen
Fernroͤhre gefunden hat.

Techniſchen und artiſtiſchen abgeſchloſſenen Thaͤtig-
keitskreiſen ſind die Wiſſenſchaften mehr ſchuldig als
hervorgehoben wird, weil man auf jene treu fleißige
Menſchen oft nur als auf werkzeugliche Thaͤtler hinab-
ſieht. Haͤtte jemand zu Ende des ſechzehnten Jahr-
hunderts ſich in die Werkſtaͤtten der Faͤrber und Ma-
ler begeben und nur alles redlich und conſequent aufge-
zeichnet, was er dort gefunden; ſo haͤtten wir einen
weit vollſtaͤndigeren und methodiſcheren Beytrag zu un-
ſerm gegenwaͤrtigen Zweck, als er uns durch Beant-
wortung tauſend Baconiſcher Fragen nicht haͤtte werden
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[236/0270] cons, daß er die mechaniſchen Bemuͤhungen der Hand- werker und Fabricanten zu ſehr verachtete. Handwer- ker und Kuͤnſtler, die einen beſchraͤnkten Kreis zeitlebens durcharbeiten, deren Exiſtenz vom Gelingen irgend eines Vorſatzes abhaͤngt, ſolche werden weit eher vom Parti- cularen zum Univerſalen gelangen, als der Philoſoph auf Baconiſchem Wege. Sie werden vom Pfuſchen zum Verſuchen, vom Verſuch zur Vorſchrift, und was noch mehr iſt, zum gewiſſen Handgriff vorſchreiten, und nicht allein reden ſondern thun und durch das Thun das Moͤgliche darſtellen; ja ſie werden es darſtellen muͤſſen, wenn ſie es ſogar laͤugnen ſollten, wie der außeror- dentliche Fall ſich bey Entdeckung der achromatiſchen Fernroͤhre gefunden hat. Techniſchen und artiſtiſchen abgeſchloſſenen Thaͤtig- keitskreiſen ſind die Wiſſenſchaften mehr ſchuldig als hervorgehoben wird, weil man auf jene treu fleißige Menſchen oft nur als auf werkzeugliche Thaͤtler hinab- ſieht. Haͤtte jemand zu Ende des ſechzehnten Jahr- hunderts ſich in die Werkſtaͤtten der Faͤrber und Ma- ler begeben und nur alles redlich und conſequent aufge- zeichnet, was er dort gefunden; ſo haͤtten wir einen weit vollſtaͤndigeren und methodiſcheren Beytrag zu un- ſerm gegenwaͤrtigen Zweck, als er uns durch Beant- wortung tauſend Baconiſcher Fragen nicht haͤtte werden koͤnnen. Damit man aber nicht denke, daß dieſes nur ein frommer Wunſch oder eine Forderung ins Blaue ſey, ſo

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/270>, abgerufen am 26.11.2024.