Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwischenbetrachtung.

Da wir durch erstgedachte drey Männer in das
Alterthum wieder zurückgeführt worden, so erinnern
wir uns billig dessen, was früher, die naturwissen-
schaftlichen Einsichten der Alten betreffend, bemerkt
ward. Sie wurden nämlich als tüchtige Menschen
von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte-
ten mit Verwunderung die verwickelten Phänomene,
die uns täglich und stündlich umgeben, und wo-
durch die Natur ihnen eher verschleyert als aufgedeckt
ward.

Wenn wir oben dem glücklichen theoretischen Be-
mühen mancher Männer volle Gerechtigkeit widerfah-
ren lassen; so ist doch nicht zu läugnen, daß man
ihren Theorieen meistens einen empirischen Ursprung
nur allzusehr ansieht. Denn was war ihre Theilung
natürlicher Uranfänge in vier Elemente anders, als
eine nothdürftige Topik, nach welcher sich die erschei-
nenden Erscheinungen allenfalls ordnen und mit eini-
ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl,
die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die
daraus entspringende Bequemlichkeit machte eine solche
Lehre zur Fortpflanzung geschickt, und obgleich auf-
merksamere Beobachter mancherley Zweifel erregen,
manche Frage aufwerfen mochten; so blieb doch Schule
und Menge dieser Vorstellungs- und Eintheilungsart
geneigt.

Zwiſchenbetrachtung.

Da wir durch erſtgedachte drey Maͤnner in das
Alterthum wieder zuruͤckgefuͤhrt worden, ſo erinnern
wir uns billig deſſen, was fruͤher, die naturwiſſen-
ſchaftlichen Einſichten der Alten betreffend, bemerkt
ward. Sie wurden naͤmlich als tuͤchtige Menſchen
von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte-
ten mit Verwunderung die verwickelten Phaͤnomene,
die uns taͤglich und ſtuͤndlich umgeben, und wo-
durch die Natur ihnen eher verſchleyert als aufgedeckt
ward.

Wenn wir oben dem gluͤcklichen theoretiſchen Be-
muͤhen mancher Maͤnner volle Gerechtigkeit widerfah-
ren laſſen; ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß man
ihren Theorieen meiſtens einen empiriſchen Urſprung
nur allzuſehr anſieht. Denn was war ihre Theilung
natuͤrlicher Uranfaͤnge in vier Elemente anders, als
eine nothduͤrftige Topik, nach welcher ſich die erſchei-
nenden Erſcheinungen allenfalls ordnen und mit eini-
ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl,
die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die
daraus entſpringende Bequemlichkeit machte eine ſolche
Lehre zur Fortpflanzung geſchickt, und obgleich auf-
merkſamere Beobachter mancherley Zweifel erregen,
manche Frage aufwerfen mochten; ſo blieb doch Schule
und Menge dieſer Vorſtellungs- und Eintheilungsart
geneigt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0238" n="204"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Zwi&#x017F;chenbetrachtung</hi>.</head><lb/>
          <p>Da wir durch er&#x017F;tgedachte drey Ma&#x0364;nner in das<lb/>
Alterthum wieder zuru&#x0364;ckgefu&#x0364;hrt worden, &#x017F;o erinnern<lb/>
wir uns billig de&#x017F;&#x017F;en, was fru&#x0364;her, die naturwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Ein&#x017F;ichten der Alten betreffend, bemerkt<lb/>
ward. Sie wurden na&#x0364;mlich als tu&#x0364;chtige Men&#x017F;chen<lb/>
von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte-<lb/>
ten mit Verwunderung die verwickelten Pha&#x0364;nomene,<lb/>
die uns ta&#x0364;glich und &#x017F;tu&#x0364;ndlich umgeben, und wo-<lb/>
durch die Natur ihnen eher ver&#x017F;chleyert als aufgedeckt<lb/>
ward.</p><lb/>
          <p>Wenn wir oben dem glu&#x0364;cklichen theoreti&#x017F;chen Be-<lb/>
mu&#x0364;hen mancher Ma&#x0364;nner volle Gerechtigkeit widerfah-<lb/>
ren la&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;o i&#x017F;t doch nicht zu la&#x0364;ugnen, daß man<lb/>
ihren Theorieen mei&#x017F;tens einen empiri&#x017F;chen Ur&#x017F;prung<lb/>
nur allzu&#x017F;ehr an&#x017F;ieht. Denn was war ihre Theilung<lb/>
natu&#x0364;rlicher Uranfa&#x0364;nge in vier Elemente anders, als<lb/>
eine nothdu&#x0364;rftige Topik, nach welcher &#x017F;ich die er&#x017F;chei-<lb/>
nenden Er&#x017F;cheinungen allenfalls ordnen und mit eini-<lb/>
ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl,<lb/>
die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die<lb/>
daraus ent&#x017F;pringende Bequemlichkeit machte eine &#x017F;olche<lb/>
Lehre zur Fortpflanzung ge&#x017F;chickt, und obgleich auf-<lb/>
merk&#x017F;amere Beobachter mancherley Zweifel erregen,<lb/>
manche Frage aufwerfen mochten; &#x017F;o blieb doch Schule<lb/>
und Menge die&#x017F;er Vor&#x017F;tellungs- und Eintheilungsart<lb/>
geneigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0238] Zwiſchenbetrachtung. Da wir durch erſtgedachte drey Maͤnner in das Alterthum wieder zuruͤckgefuͤhrt worden, ſo erinnern wir uns billig deſſen, was fruͤher, die naturwiſſen- ſchaftlichen Einſichten der Alten betreffend, bemerkt ward. Sie wurden naͤmlich als tuͤchtige Menſchen von den Naturbegebenheiten aufgeregt, und betrachte- ten mit Verwunderung die verwickelten Phaͤnomene, die uns taͤglich und ſtuͤndlich umgeben, und wo- durch die Natur ihnen eher verſchleyert als aufgedeckt ward. Wenn wir oben dem gluͤcklichen theoretiſchen Be- muͤhen mancher Maͤnner volle Gerechtigkeit widerfah- ren laſſen; ſo iſt doch nicht zu laͤugnen, daß man ihren Theorieen meiſtens einen empiriſchen Urſprung nur allzuſehr anſieht. Denn was war ihre Theilung natuͤrlicher Uranfaͤnge in vier Elemente anders, als eine nothduͤrftige Topik, nach welcher ſich die erſchei- nenden Erſcheinungen allenfalls ordnen und mit eini- ger Methode vortragen ließen. Die faßliche Zahl, die in ihr enthaltene doppelte Symmetrie, und die daraus entſpringende Bequemlichkeit machte eine ſolche Lehre zur Fortpflanzung geſchickt, und obgleich auf- merkſamere Beobachter mancherley Zweifel erregen, manche Frage aufwerfen mochten; ſo blieb doch Schule und Menge dieſer Vorſtellungs- und Eintheilungsart geneigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/238
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/238>, abgerufen am 24.11.2024.