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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Das Griechische ist durchaus naiver, zu einem
natürlichen, heitern, geistreichen, ästhetischen Vortrag
glücklicher Naturansichten viel geschickter. Die Art,
durch Verba, besonders durch Infinitiven und Parti-
cipien zu sprechen, macht jeden Ausdruck läßlich; es
wird eigentlich durch das Wort nichts bestimmt, be-
pfählt und festgesetzt, es ist nur eine Andeutung, um
den Gegenstand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateinische Sprache dagegen wird durch den
Gebrauch der Substantiven entscheidend und befehls-
haberisch. Der Begriff ist im Wort fertig aufgestellt,
im Worte erstarrt, mit welchem nun als einem wirk-
lichen Wesen verfahren wird. Wir werden später
Ursache haben, an diese Betrachtungen wieder zu er-
innern.

Was den zweyten etymologischen Theil betrifft,
so ist derselbe schätzenswerth, weil er uns mit vielen
lateinischen Farbenbenennungen bekannt macht; wo-
durch wir den Thylesius und andre suppliren können.

Wir fügen hier eine Bemerkung bey, jedoch mit
Vorsicht, weil sie uns leicht zu weit führen könnte.
In unserm kleinen Aufsatz über die Farbenbenennun-
gen der Griechen und Römer, S. 54. des gegenwär-
tigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der
Farbenbenennungen bey den Alten aufmerksam ge-
macht; doch ist nicht zu vergessen, wie viele derselben
bey ihrem Ursprunge sogleich fixirt worden: denn ge-

Das Griechiſche iſt durchaus naiver, zu einem
natuͤrlichen, heitern, geiſtreichen, aͤſthetiſchen Vortrag
gluͤcklicher Naturanſichten viel geſchickter. Die Art,
durch Verba, beſonders durch Infinitiven und Parti-
cipien zu ſprechen, macht jeden Ausdruck laͤßlich; es
wird eigentlich durch das Wort nichts beſtimmt, be-
pfaͤhlt und feſtgeſetzt, es iſt nur eine Andeutung, um
den Gegenſtand in der Einbildungskraft hervorzurufen.

Die lateiniſche Sprache dagegen wird durch den
Gebrauch der Subſtantiven entſcheidend und befehls-
haberiſch. Der Begriff iſt im Wort fertig aufgeſtellt,
im Worte erſtarrt, mit welchem nun als einem wirk-
lichen Weſen verfahren wird. Wir werden ſpaͤter
Urſache haben, an dieſe Betrachtungen wieder zu er-
innern.

Was den zweyten etymologiſchen Theil betrifft,
ſo iſt derſelbe ſchaͤtzenswerth, weil er uns mit vielen
lateiniſchen Farbenbenennungen bekannt macht; wo-
durch wir den Thyleſius und andre ſuppliren koͤnnen.

Wir fuͤgen hier eine Bemerkung bey, jedoch mit
Vorſicht, weil ſie uns leicht zu weit fuͤhren koͤnnte.
In unſerm kleinen Aufſatz uͤber die Farbenbenennun-
gen der Griechen und Roͤmer, S. 54. des gegenwaͤr-
tigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der
Farbenbenennungen bey den Alten aufmerkſam ge-
macht; doch iſt nicht zu vergeſſen, wie viele derſelben
bey ihrem Urſprunge ſogleich fixirt worden: denn ge-

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[202/0236] Das Griechiſche iſt durchaus naiver, zu einem natuͤrlichen, heitern, geiſtreichen, aͤſthetiſchen Vortrag gluͤcklicher Naturanſichten viel geſchickter. Die Art, durch Verba, beſonders durch Infinitiven und Parti- cipien zu ſprechen, macht jeden Ausdruck laͤßlich; es wird eigentlich durch das Wort nichts beſtimmt, be- pfaͤhlt und feſtgeſetzt, es iſt nur eine Andeutung, um den Gegenſtand in der Einbildungskraft hervorzurufen. Die lateiniſche Sprache dagegen wird durch den Gebrauch der Subſtantiven entſcheidend und befehls- haberiſch. Der Begriff iſt im Wort fertig aufgeſtellt, im Worte erſtarrt, mit welchem nun als einem wirk- lichen Weſen verfahren wird. Wir werden ſpaͤter Urſache haben, an dieſe Betrachtungen wieder zu er- innern. Was den zweyten etymologiſchen Theil betrifft, ſo iſt derſelbe ſchaͤtzenswerth, weil er uns mit vielen lateiniſchen Farbenbenennungen bekannt macht; wo- durch wir den Thyleſius und andre ſuppliren koͤnnen. Wir fuͤgen hier eine Bemerkung bey, jedoch mit Vorſicht, weil ſie uns leicht zu weit fuͤhren koͤnnte. In unſerm kleinen Aufſatz uͤber die Farbenbenennun- gen der Griechen und Roͤmer, S. 54. des gegenwaͤr- tigen Bandes, haben wir auf die Beweglichkeit der Farbenbenennungen bey den Alten aufmerkſam ge- macht; doch iſt nicht zu vergeſſen, wie viele derſelben bey ihrem Urſprunge ſogleich fixirt worden: denn ge-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/236>, abgerufen am 16.04.2024.