Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Problem, in complicirteren ist sie wohl behülflich, deu-
tet auf den Weg, bringt uns näher; aber sie dringt
nicht mehr auf den Grund. In den höheren Fällen
und nun gar im Organischen und Moralischen bleibt
sie ein bloßes Symbol.

Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, sehr
gehaltvoll ist, auch nichts fehlt, was den sinnenden
Menschen interessiren kann, ob er sich schon mit großer
Ehrfurcht den erhabenen Gegenständen des Universums
nähert; so muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß-
baren und Ausführbaren, einzelnen Wissenschaften und
Künsten, Unrecht thun, um seine These durchzusetzen.
Was in ihnen eigenthümlich, fundamental und elemen-
tar gewiß ist, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die
Seite, die sie gegen die Mathematik bieten. So löst
er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Musik auf,
und erklärt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De-
monstrationen für die bessere Logik.

Indem er nun zwar parteyisch aber keinesweges
Pedant ist, so fühlt er sehr bald, wo seine Grundma-
ximen (canones), mit denen er alles ausrichten will,
nicht hinreichen, und es scheint ihm selbst nicht recht
Ernst zu seyn, wenn er seinen mathematisch-physischen
Maßstab geistigen und göttlichen Dingen anpassen und
durch ein witziges Bilderspiel das, was nicht ineinan-
der greift, zusammenhängen will.

Bey alle dem läßt ihn sein großes Sicherheitsbe-
dürfniß durchaus feste und entschiedene Schritte thun.

Problem, in complicirteren iſt ſie wohl behuͤlflich, deu-
tet auf den Weg, bringt uns naͤher; aber ſie dringt
nicht mehr auf den Grund. In den hoͤheren Faͤllen
und nun gar im Organiſchen und Moraliſchen bleibt
ſie ein bloßes Symbol.

Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, ſehr
gehaltvoll iſt, auch nichts fehlt, was den ſinnenden
Menſchen intereſſiren kann, ob er ſich ſchon mit großer
Ehrfurcht den erhabenen Gegenſtaͤnden des Univerſums
naͤhert; ſo muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß-
baren und Ausfuͤhrbaren, einzelnen Wiſſenſchaften und
Kuͤnſten, Unrecht thun, um ſeine Theſe durchzuſetzen.
Was in ihnen eigenthuͤmlich, fundamental und elemen-
tar gewiß iſt, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die
Seite, die ſie gegen die Mathematik bieten. So loͤſt
er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Muſik auf,
und erklaͤrt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De-
monſtrationen fuͤr die beſſere Logik.

Indem er nun zwar parteyiſch aber keinesweges
Pedant iſt, ſo fuͤhlt er ſehr bald, wo ſeine Grundma-
ximen (canones), mit denen er alles ausrichten will,
nicht hinreichen, und es ſcheint ihm ſelbſt nicht recht
Ernſt zu ſeyn, wenn er ſeinen mathematiſch-phyſiſchen
Maßſtab geiſtigen und goͤttlichen Dingen anpaſſen und
durch ein witziges Bilderſpiel das, was nicht ineinan-
der greift, zuſammenhaͤngen will.

Bey alle dem laͤßt ihn ſein großes Sicherheitsbe-
duͤrfniß durchaus feſte und entſchiedene Schritte thun.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="151"/>
Problem, in complicirteren i&#x017F;t &#x017F;ie wohl behu&#x0364;lflich, deu-<lb/>
tet auf den Weg, bringt uns na&#x0364;her; aber &#x017F;ie dringt<lb/>
nicht mehr auf den Grund. In den ho&#x0364;heren Fa&#x0364;llen<lb/>
und nun gar im Organi&#x017F;chen und Morali&#x017F;chen bleibt<lb/>
&#x017F;ie ein bloßes Symbol.</p><lb/>
          <p>Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, &#x017F;ehr<lb/>
gehaltvoll i&#x017F;t, auch nichts fehlt, was den &#x017F;innenden<lb/>
Men&#x017F;chen intere&#x017F;&#x017F;iren kann, ob er &#x017F;ich &#x017F;chon mit großer<lb/>
Ehrfurcht den erhabenen Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden des Univer&#x017F;ums<lb/>
na&#x0364;hert; &#x017F;o muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß-<lb/>
baren und Ausfu&#x0364;hrbaren, einzelnen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten, Unrecht thun, um &#x017F;eine The&#x017F;e durchzu&#x017F;etzen.<lb/>
Was in ihnen eigenthu&#x0364;mlich, fundamental und elemen-<lb/>
tar gewiß i&#x017F;t, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die<lb/>
Seite, die &#x017F;ie gegen die Mathematik bieten. So lo&#x0364;&#x017F;t<lb/>
er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Mu&#x017F;ik auf,<lb/>
und erkla&#x0364;rt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De-<lb/>
mon&#x017F;trationen fu&#x0364;r die be&#x017F;&#x017F;ere Logik.</p><lb/>
          <p>Indem er nun zwar parteyi&#x017F;ch aber keinesweges<lb/>
Pedant i&#x017F;t, &#x017F;o fu&#x0364;hlt er &#x017F;ehr bald, wo &#x017F;eine Grundma-<lb/>
ximen <hi rendition="#aq">(canones)</hi>, mit denen er alles ausrichten will,<lb/>
nicht hinreichen, und es &#x017F;cheint ihm &#x017F;elb&#x017F;t nicht recht<lb/>
Ern&#x017F;t zu &#x017F;eyn, wenn er &#x017F;einen mathemati&#x017F;ch-phy&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Maß&#x017F;tab gei&#x017F;tigen und go&#x0364;ttlichen Dingen anpa&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
durch ein witziges Bilder&#x017F;piel das, was nicht ineinan-<lb/>
der greift, zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen will.</p><lb/>
          <p>Bey alle dem la&#x0364;ßt ihn &#x017F;ein großes Sicherheitsbe-<lb/>
du&#x0364;rfniß durchaus fe&#x017F;te und ent&#x017F;chiedene Schritte thun.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0185] Problem, in complicirteren iſt ſie wohl behuͤlflich, deu- tet auf den Weg, bringt uns naͤher; aber ſie dringt nicht mehr auf den Grund. In den hoͤheren Faͤllen und nun gar im Organiſchen und Moraliſchen bleibt ſie ein bloßes Symbol. Ob nun gleich der Stoff, den er behandelt, ſehr gehaltvoll iſt, auch nichts fehlt, was den ſinnenden Menſchen intereſſiren kann, ob er ſich ſchon mit großer Ehrfurcht den erhabenen Gegenſtaͤnden des Univerſums naͤhert; ſo muß er doch den einzelnen Theilen des Wiß- baren und Ausfuͤhrbaren, einzelnen Wiſſenſchaften und Kuͤnſten, Unrecht thun, um ſeine Theſe durchzuſetzen. Was in ihnen eigenthuͤmlich, fundamental und elemen- tar gewiß iſt, erkennt er nicht an; er beachtet bloß die Seite, die ſie gegen die Mathematik bieten. So loͤſt er die Grammatik in Rhythmik, die Logik in Muſik auf, und erklaͤrt die Mathematik wegen Sicherheit ihrer De- monſtrationen fuͤr die beſſere Logik. Indem er nun zwar parteyiſch aber keinesweges Pedant iſt, ſo fuͤhlt er ſehr bald, wo ſeine Grundma- ximen (canones), mit denen er alles ausrichten will, nicht hinreichen, und es ſcheint ihm ſelbſt nicht recht Ernſt zu ſeyn, wenn er ſeinen mathematiſch-phyſiſchen Maßſtab geiſtigen und goͤttlichen Dingen anpaſſen und durch ein witziges Bilderſpiel das, was nicht ineinan- der greift, zuſammenhaͤngen will. Bey alle dem laͤßt ihn ſein großes Sicherheitsbe- duͤrfniß durchaus feſte und entſchiedene Schritte thun.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/185
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/185>, abgerufen am 24.11.2024.