Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Was die Alten erfahren und gedacht, was er selbst ge-
funden und ersonnen, das alles bringt er nicht gerade
streng methodisch, aber doch in einem sehr faßlichen
naiven Vortrag, uns vor Seel' und Gemüth. Alles
hängt zusammen, alles hat die schönste Folge, und in-
dem das Bekannte klar vor ihm liegt, so ist ihm auch
das Unbekannte selbst nicht fremd; daher er denn
voraussieht, was noch künftig zu leisten ist und was
erst einige Jahrhunderte nachher, durch fortschreitende
Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei-
nerte Technik, wirklich geleistet worden.

Wir lassen ihn seine allgemeinen Grundsätze selbst
vortragen, sowohl weil es interessant ist, sie an und
für sich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch
Gelegenheit finden, unsere Ueberzeugungen in seinem
Sinne auszusprechen.


"Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht
erkennen; anderes aber, das für uns verborgen ist, wel-
ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der-
gleichen sind alle höhere Wesen, Gott und die Engel,
als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin-
reichen. Aber es findet sich, daß wir auch einen Sinn
haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was
der Natur bekannt ist, und dieser ist der mathematische:
denn durch diesen erkennen wir auch die höheren We-
sen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen
auf diesem Wege zur Erkenntniß der übrigen erhabenen

Was die Alten erfahren und gedacht, was er ſelbſt ge-
funden und erſonnen, das alles bringt er nicht gerade
ſtreng methodiſch, aber doch in einem ſehr faßlichen
naiven Vortrag, uns vor Seel’ und Gemuͤth. Alles
haͤngt zuſammen, alles hat die ſchoͤnſte Folge, und in-
dem das Bekannte klar vor ihm liegt, ſo iſt ihm auch
das Unbekannte ſelbſt nicht fremd; daher er denn
vorausſieht, was noch kuͤnftig zu leiſten iſt und was
erſt einige Jahrhunderte nachher, durch fortſchreitende
Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei-
nerte Technik, wirklich geleiſtet worden.

Wir laſſen ihn ſeine allgemeinen Grundſaͤtze ſelbſt
vortragen, ſowohl weil es intereſſant iſt, ſie an und
fuͤr ſich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch
Gelegenheit finden, unſere Ueberzeugungen in ſeinem
Sinne auszuſprechen.


„Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht
erkennen; anderes aber, das fuͤr uns verborgen iſt, wel-
ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der-
gleichen ſind alle hoͤhere Weſen, Gott und die Engel,
als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin-
reichen. Aber es findet ſich, daß wir auch einen Sinn
haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was
der Natur bekannt iſt, und dieſer iſt der mathematiſche:
denn durch dieſen erkennen wir auch die hoͤheren We-
ſen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen
auf dieſem Wege zur Erkenntniß der uͤbrigen erhabenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="152"/>
Was die Alten erfahren und gedacht, was er &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
funden und er&#x017F;onnen, das alles bringt er nicht gerade<lb/>
&#x017F;treng methodi&#x017F;ch, aber doch in einem &#x017F;ehr faßlichen<lb/>
naiven Vortrag, uns vor Seel&#x2019; und Gemu&#x0364;th. Alles<lb/>
ha&#x0364;ngt zu&#x017F;ammen, alles hat die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Folge, und in-<lb/>
dem das Bekannte klar vor ihm liegt, &#x017F;o i&#x017F;t ihm auch<lb/>
das Unbekannte &#x017F;elb&#x017F;t nicht fremd; daher er denn<lb/>
voraus&#x017F;ieht, was noch ku&#x0364;nftig zu lei&#x017F;ten i&#x017F;t und was<lb/>
er&#x017F;t einige Jahrhunderte nachher, durch fort&#x017F;chreitende<lb/>
Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei-<lb/>
nerte Technik, wirklich gelei&#x017F;tet worden.</p><lb/>
          <p>Wir la&#x017F;&#x017F;en ihn &#x017F;eine allgemeinen Grund&#x017F;a&#x0364;tze &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
vortragen, &#x017F;owohl weil es intere&#x017F;&#x017F;ant i&#x017F;t, &#x017F;ie an und<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch<lb/>
Gelegenheit finden, un&#x017F;ere Ueberzeugungen in &#x017F;einem<lb/>
Sinne auszu&#x017F;prechen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>&#x201E;Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht<lb/>
erkennen; anderes aber, das fu&#x0364;r uns verborgen i&#x017F;t, wel-<lb/>
ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der-<lb/>
gleichen &#x017F;ind alle ho&#x0364;here We&#x017F;en, Gott und die Engel,<lb/>
als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin-<lb/>
reichen. Aber es findet &#x017F;ich, daß wir auch einen Sinn<lb/>
haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was<lb/>
der Natur bekannt i&#x017F;t, und die&#x017F;er i&#x017F;t der mathemati&#x017F;che:<lb/>
denn durch die&#x017F;en erkennen wir auch die ho&#x0364;heren We-<lb/>
&#x017F;en, als den Himmel und die Sterne, und gelangen<lb/>
auf die&#x017F;em Wege zur Erkenntniß der u&#x0364;brigen erhabenen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0186] Was die Alten erfahren und gedacht, was er ſelbſt ge- funden und erſonnen, das alles bringt er nicht gerade ſtreng methodiſch, aber doch in einem ſehr faßlichen naiven Vortrag, uns vor Seel’ und Gemuͤth. Alles haͤngt zuſammen, alles hat die ſchoͤnſte Folge, und in- dem das Bekannte klar vor ihm liegt, ſo iſt ihm auch das Unbekannte ſelbſt nicht fremd; daher er denn vorausſieht, was noch kuͤnftig zu leiſten iſt und was erſt einige Jahrhunderte nachher, durch fortſchreitende Beobachtung der Natur und durch eine immer verfei- nerte Technik, wirklich geleiſtet worden. Wir laſſen ihn ſeine allgemeinen Grundſaͤtze ſelbſt vortragen, ſowohl weil es intereſſant iſt, ſie an und fuͤr ſich kennen zu lernen, als auch weil wir dadurch Gelegenheit finden, unſere Ueberzeugungen in ſeinem Sinne auszuſprechen. „Es gibt mancherley, das wir geradehin und leicht erkennen; anderes aber, das fuͤr uns verborgen iſt, wel- ches jedoch von der Natur wohl gekannt wird. Der- gleichen ſind alle hoͤhere Weſen, Gott und die Engel, als welche zu erkennen die gemeinen Sinne nicht hin- reichen. Aber es findet ſich, daß wir auch einen Sinn haben, durch den wir das gleichfalls erkennen, was der Natur bekannt iſt, und dieſer iſt der mathematiſche: denn durch dieſen erkennen wir auch die hoͤheren We- ſen, als den Himmel und die Sterne, und gelangen auf dieſem Wege zur Erkenntniß der uͤbrigen erhabenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/186
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/186>, abgerufen am 28.11.2024.