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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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schlossen sind, mag noch ferner die Einsichten und das
zweckmäßige Verfahren des Künstlers bewähren. Denn
diese Farben würden dem von ihm beabsichtigten fröh-
lichen und doch sanften Farbenspiel entgegen und un-
vereinbar mit dem überhaupt herrschenden violetten Ton
gewesen seyn.

Die weiße Farbe, deren sich unser Meister be-
diente, scheint wenig Körper zu haben, und ist wahr-
scheinlich eine Art Kreide, worunter man sich also das
Melinum, dessen Plinius gedenkt, vorzustellen hätte;
das Gelb eine ganz ausnehmend schöne goldgelbe Ocher-
art, vermuthlich das attische Sil. Von dem Grün,
welches einen reinen frischen Schein hat, getrauen wir
uns nicht zu entscheiden, ob es durch Mischung her-
vorgebracht oder in seinem natürlichen Zustande ange-
wendet worden, sind aber doch aus verschiedenen Grün-
den geneigt, das letztere zu glauben. Zum Roth dien-
te außer der vorerwähnten Purpurfarbe oder Lack eine
schöne rothe Erde, welche wohl für die Synopis gel-
ten könnte, wenn man nicht etwa lieber annehmen
will, die neapolitanische rothe Erde sey zu Rom um
die Zeit, da dieses Gemälde verfertigt wurde, bereits
bekannt gewesen; worüber jedoch, so viel wir wissen,
keine bestimmten Nachrichten vorhanden sind. Von
dem Blau halten wir uns für überzeugt, daß es aus
Indigo besteht, welcher gemischt mit der vorgedachten
Purpurfarbe auch das Violett gegeben. In vertiefenden
Mischungen, besonders im Schatten der Fleischpar-
tieen, mag ferner noch ein brauner Ocher angewandt
seyn, und in den dunkelsten Strichen läßt sich die Ge-

ſchloſſen ſind, mag noch ferner die Einſichten und das
zweckmaͤßige Verfahren des Kuͤnſtlers bewaͤhren. Denn
dieſe Farben wuͤrden dem von ihm beabſichtigten froͤh-
lichen und doch ſanften Farbenſpiel entgegen und un-
vereinbar mit dem uͤberhaupt herrſchenden violetten Ton
geweſen ſeyn.

Die weiße Farbe, deren ſich unſer Meiſter be-
diente, ſcheint wenig Koͤrper zu haben, und iſt wahr-
ſcheinlich eine Art Kreide, worunter man ſich alſo das
Melinum, deſſen Plinius gedenkt, vorzuſtellen haͤtte;
das Gelb eine ganz ausnehmend ſchoͤne goldgelbe Ocher-
art, vermuthlich das attiſche Sil. Von dem Gruͤn,
welches einen reinen friſchen Schein hat, getrauen wir
uns nicht zu entſcheiden, ob es durch Miſchung her-
vorgebracht oder in ſeinem natuͤrlichen Zuſtande ange-
wendet worden, ſind aber doch aus verſchiedenen Gruͤn-
den geneigt, das letztere zu glauben. Zum Roth dien-
te außer der vorerwaͤhnten Purpurfarbe oder Lack eine
ſchoͤne rothe Erde, welche wohl fuͤr die Synopis gel-
ten koͤnnte, wenn man nicht etwa lieber annehmen
will, die neapolitaniſche rothe Erde ſey zu Rom um
die Zeit, da dieſes Gemaͤlde verfertigt wurde, bereits
bekannt geweſen; woruͤber jedoch, ſo viel wir wiſſen,
keine beſtimmten Nachrichten vorhanden ſind. Von
dem Blau halten wir uns fuͤr uͤberzeugt, daß es aus
Indigo beſteht, welcher gemiſcht mit der vorgedachten
Purpurfarbe auch das Violett gegeben. In vertiefenden
Miſchungen, beſonders im Schatten der Fleiſchpar-
tieen, mag ferner noch ein brauner Ocher angewandt
ſeyn, und in den dunkelſten Strichen laͤßt ſich die Ge-

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[102/0136] ſchloſſen ſind, mag noch ferner die Einſichten und das zweckmaͤßige Verfahren des Kuͤnſtlers bewaͤhren. Denn dieſe Farben wuͤrden dem von ihm beabſichtigten froͤh- lichen und doch ſanften Farbenſpiel entgegen und un- vereinbar mit dem uͤberhaupt herrſchenden violetten Ton geweſen ſeyn. Die weiße Farbe, deren ſich unſer Meiſter be- diente, ſcheint wenig Koͤrper zu haben, und iſt wahr- ſcheinlich eine Art Kreide, worunter man ſich alſo das Melinum, deſſen Plinius gedenkt, vorzuſtellen haͤtte; das Gelb eine ganz ausnehmend ſchoͤne goldgelbe Ocher- art, vermuthlich das attiſche Sil. Von dem Gruͤn, welches einen reinen friſchen Schein hat, getrauen wir uns nicht zu entſcheiden, ob es durch Miſchung her- vorgebracht oder in ſeinem natuͤrlichen Zuſtande ange- wendet worden, ſind aber doch aus verſchiedenen Gruͤn- den geneigt, das letztere zu glauben. Zum Roth dien- te außer der vorerwaͤhnten Purpurfarbe oder Lack eine ſchoͤne rothe Erde, welche wohl fuͤr die Synopis gel- ten koͤnnte, wenn man nicht etwa lieber annehmen will, die neapolitaniſche rothe Erde ſey zu Rom um die Zeit, da dieſes Gemaͤlde verfertigt wurde, bereits bekannt geweſen; woruͤber jedoch, ſo viel wir wiſſen, keine beſtimmten Nachrichten vorhanden ſind. Von dem Blau halten wir uns fuͤr uͤberzeugt, daß es aus Indigo beſteht, welcher gemiſcht mit der vorgedachten Purpurfarbe auch das Violett gegeben. In vertiefenden Miſchungen, beſonders im Schatten der Fleiſchpar- tieen, mag ferner noch ein brauner Ocher angewandt ſeyn, und in den dunkelſten Strichen laͤßt ſich die Ge-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/136>, abgerufen am 26.04.2024.