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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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malt seyn aus was für einem Tone der Charakter und
die Bedeutung des Gegenstandes es forderten. So se-
hen wir, um durch Beyspiele das Gesagte deutlicher zu
machen, etwa von Rembrand oder vom Ferdinand
Bol, Bilder in sehr gelbem Tone gemalt, wo aber
doch wieder durch die letzten endenden Lasuren ein alle
Farben, alle Lichter mildernder Schein, eine dem Auge
schmeichelnde Dämmerung über das Ganze ergossen ist.
Adrian von Ostade, nebst einigen andern Meistern,
hat hingegen Bilder geliefert, woran kein entschiedener
Ton einer im Allgemeinen übergreifenden Farbe wahr-
genommen wird, deren stille Harmonie einzig durch den
Ueberzug einer farblosen bloß dunklen Lasirung bewirkt
ist, und man die Gegenstände erblickt ungefähr wie sie
im schwarz unterlegten Spiegel erscheinen.

Wenn wir unsere Betrachtungen über die aldo-
brandinische Hochzeit nun weiter fortsetzen und theils
die kunstmäßige Vertheilung der Farben, theils die an-
gewendeten Farbenstoffe für sich selbst in Erwägung zie-
hen; so zeigt sich das Weiße, Gelbe, Grüne und Vio-
lette, zwar in verschiedenen Nüanzen, übrigens aber
an Masse oder Quantität ohngefähr gleichmäßig durch
das ganze Bild vertheilt. Reines Blau ist wenig und
nur in heller Mischung zur Luft und zum Untergewan-
de der Braut gebraucht; hingegen desto öfter eine hohe
Purpur- oder Lackfarbe, die aber nirgends Masse macht,
sondern nur die Schatten bricht und erwärmt, oder
auch Changeant bewirkt, und so auf verschiedene Weise
zur allgemeinen Harmonie des Ganzen sehr wesentlich
beyträgt. Daß Zinnoberroth und Orangefarb ausge-

malt ſeyn aus was fuͤr einem Tone der Charakter und
die Bedeutung des Gegenſtandes es forderten. So ſe-
hen wir, um durch Beyſpiele das Geſagte deutlicher zu
machen, etwa von Rembrand oder vom Ferdinand
Bol, Bilder in ſehr gelbem Tone gemalt, wo aber
doch wieder durch die letzten endenden Laſuren ein alle
Farben, alle Lichter mildernder Schein, eine dem Auge
ſchmeichelnde Daͤmmerung uͤber das Ganze ergoſſen iſt.
Adrian von Oſtade, nebſt einigen andern Meiſtern,
hat hingegen Bilder geliefert, woran kein entſchiedener
Ton einer im Allgemeinen uͤbergreifenden Farbe wahr-
genommen wird, deren ſtille Harmonie einzig durch den
Ueberzug einer farbloſen bloß dunklen Laſirung bewirkt
iſt, und man die Gegenſtaͤnde erblickt ungefaͤhr wie ſie
im ſchwarz unterlegten Spiegel erſcheinen.

Wenn wir unſere Betrachtungen uͤber die aldo-
brandiniſche Hochzeit nun weiter fortſetzen und theils
die kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, theils die an-
gewendeten Farbenſtoffe fuͤr ſich ſelbſt in Erwaͤgung zie-
hen; ſo zeigt ſich das Weiße, Gelbe, Gruͤne und Vio-
lette, zwar in verſchiedenen Nuͤanzen, uͤbrigens aber
an Maſſe oder Quantitaͤt ohngefaͤhr gleichmaͤßig durch
das ganze Bild vertheilt. Reines Blau iſt wenig und
nur in heller Miſchung zur Luft und zum Untergewan-
de der Braut gebraucht; hingegen deſto oͤfter eine hohe
Purpur- oder Lackfarbe, die aber nirgends Maſſe macht,
ſondern nur die Schatten bricht und erwaͤrmt, oder
auch Changeant bewirkt, und ſo auf verſchiedene Weiſe
zur allgemeinen Harmonie des Ganzen ſehr weſentlich
beytraͤgt. Daß Zinnoberroth und Orangefarb ausge-

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[101/0135] malt ſeyn aus was fuͤr einem Tone der Charakter und die Bedeutung des Gegenſtandes es forderten. So ſe- hen wir, um durch Beyſpiele das Geſagte deutlicher zu machen, etwa von Rembrand oder vom Ferdinand Bol, Bilder in ſehr gelbem Tone gemalt, wo aber doch wieder durch die letzten endenden Laſuren ein alle Farben, alle Lichter mildernder Schein, eine dem Auge ſchmeichelnde Daͤmmerung uͤber das Ganze ergoſſen iſt. Adrian von Oſtade, nebſt einigen andern Meiſtern, hat hingegen Bilder geliefert, woran kein entſchiedener Ton einer im Allgemeinen uͤbergreifenden Farbe wahr- genommen wird, deren ſtille Harmonie einzig durch den Ueberzug einer farbloſen bloß dunklen Laſirung bewirkt iſt, und man die Gegenſtaͤnde erblickt ungefaͤhr wie ſie im ſchwarz unterlegten Spiegel erſcheinen. Wenn wir unſere Betrachtungen uͤber die aldo- brandiniſche Hochzeit nun weiter fortſetzen und theils die kunſtmaͤßige Vertheilung der Farben, theils die an- gewendeten Farbenſtoffe fuͤr ſich ſelbſt in Erwaͤgung zie- hen; ſo zeigt ſich das Weiße, Gelbe, Gruͤne und Vio- lette, zwar in verſchiedenen Nuͤanzen, uͤbrigens aber an Maſſe oder Quantitaͤt ohngefaͤhr gleichmaͤßig durch das ganze Bild vertheilt. Reines Blau iſt wenig und nur in heller Miſchung zur Luft und zum Untergewan- de der Braut gebraucht; hingegen deſto oͤfter eine hohe Purpur- oder Lackfarbe, die aber nirgends Maſſe macht, ſondern nur die Schatten bricht und erwaͤrmt, oder auch Changeant bewirkt, und ſo auf verſchiedene Weiſe zur allgemeinen Harmonie des Ganzen ſehr weſentlich beytraͤgt. Daß Zinnoberroth und Orangefarb ausge-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/135>, abgerufen am 25.04.2024.