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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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weit von unserm vorgesetzten Zweck ableiten würde.
Wir behaupten aber an unserm Theil, kein unparteyi-
scher Kenner der Kunst könne, mit billigen Grün-
den, den bekannten Tänzerinnen oder den Centauren
erhebliche Fehler vorwerfen. In diesen, so wie in
noch einigen andern, offenbart sich ein äußerst zarter,
eleganter Geschmack der Formen. Durchgängig sind sie
leicht und lieblich gedacht, oft in hohem Grade sinn-
reich. An den Centauren erregt neben den übrigen
Verdiensten noch die vollendete Kunst, mit welcher der
Meister die Gruppen anordnete, gerechte Bewunderung.
Nicht weniger musterhaft ist Schatten und Licht in
große ununterbrochene Massen vertheilt. Die Tänze-
rinnen, so wie verschiedene andere der besseren Bilder,
haben einen ganz ungemein fröhlichen Farbenreiz. Diese
letzte Eigenschaft, welche uns hier vornehmlich inter-
essirt, führt auf allgemeinere Betrachtungen.

Sämmtliche noch übrig gebliebenen antiken Male-
reyen zeigen einen fröhlichen heiteren Charakter der Far-
ben, wodurch sie sich auffallend, und, man mag hin-
zusetzen, nicht weniger vortheilhaft von den Arbeiten
der Neuern unterscheiden, als durch die anerkannte
Ueberlegenheit in Geschmack und Styl der Formen.
Die Ursache dieser fröhlicheren Farbenwirkung kann gro-
ßentheils dem fröhlicheren Geist der alten Kunst zuge-
schrieben werden, und überdem hat selbst die Malerey
mit Wasserfarben wahrscheinlich dazu beygetragen; da-
hingegen die neuern Maler schon durch die Natur der
Oelmalerey, welche dem Düstern günstig ist, und

weit von unſerm vorgeſetzten Zweck ableiten wuͤrde.
Wir behaupten aber an unſerm Theil, kein unparteyi-
ſcher Kenner der Kunſt koͤnne, mit billigen Gruͤn-
den, den bekannten Taͤnzerinnen oder den Centauren
erhebliche Fehler vorwerfen. In dieſen, ſo wie in
noch einigen andern, offenbart ſich ein aͤußerſt zarter,
eleganter Geſchmack der Formen. Durchgaͤngig ſind ſie
leicht und lieblich gedacht, oft in hohem Grade ſinn-
reich. An den Centauren erregt neben den uͤbrigen
Verdienſten noch die vollendete Kunſt, mit welcher der
Meiſter die Gruppen anordnete, gerechte Bewunderung.
Nicht weniger muſterhaft iſt Schatten und Licht in
große ununterbrochene Maſſen vertheilt. Die Taͤnze-
rinnen, ſo wie verſchiedene andere der beſſeren Bilder,
haben einen ganz ungemein froͤhlichen Farbenreiz. Dieſe
letzte Eigenſchaft, welche uns hier vornehmlich inter-
eſſirt, fuͤhrt auf allgemeinere Betrachtungen.

Saͤmmtliche noch uͤbrig gebliebenen antiken Male-
reyen zeigen einen froͤhlichen heiteren Charakter der Far-
ben, wodurch ſie ſich auffallend, und, man mag hin-
zuſetzen, nicht weniger vortheilhaft von den Arbeiten
der Neuern unterſcheiden, als durch die anerkannte
Ueberlegenheit in Geſchmack und Styl der Formen.
Die Urſache dieſer froͤhlicheren Farbenwirkung kann gro-
ßentheils dem froͤhlicheren Geiſt der alten Kunſt zuge-
ſchrieben werden, und uͤberdem hat ſelbſt die Malerey
mit Waſſerfarben wahrſcheinlich dazu beygetragen; da-
hingegen die neuern Maler ſchon durch die Natur der
Oelmalerey, welche dem Duͤſtern guͤnſtig iſt, und

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[96/0130] weit von unſerm vorgeſetzten Zweck ableiten wuͤrde. Wir behaupten aber an unſerm Theil, kein unparteyi- ſcher Kenner der Kunſt koͤnne, mit billigen Gruͤn- den, den bekannten Taͤnzerinnen oder den Centauren erhebliche Fehler vorwerfen. In dieſen, ſo wie in noch einigen andern, offenbart ſich ein aͤußerſt zarter, eleganter Geſchmack der Formen. Durchgaͤngig ſind ſie leicht und lieblich gedacht, oft in hohem Grade ſinn- reich. An den Centauren erregt neben den uͤbrigen Verdienſten noch die vollendete Kunſt, mit welcher der Meiſter die Gruppen anordnete, gerechte Bewunderung. Nicht weniger muſterhaft iſt Schatten und Licht in große ununterbrochene Maſſen vertheilt. Die Taͤnze- rinnen, ſo wie verſchiedene andere der beſſeren Bilder, haben einen ganz ungemein froͤhlichen Farbenreiz. Dieſe letzte Eigenſchaft, welche uns hier vornehmlich inter- eſſirt, fuͤhrt auf allgemeinere Betrachtungen. Saͤmmtliche noch uͤbrig gebliebenen antiken Male- reyen zeigen einen froͤhlichen heiteren Charakter der Far- ben, wodurch ſie ſich auffallend, und, man mag hin- zuſetzen, nicht weniger vortheilhaft von den Arbeiten der Neuern unterſcheiden, als durch die anerkannte Ueberlegenheit in Geſchmack und Styl der Formen. Die Urſache dieſer froͤhlicheren Farbenwirkung kann gro- ßentheils dem froͤhlicheren Geiſt der alten Kunſt zuge- ſchrieben werden, und uͤberdem hat ſelbſt die Malerey mit Waſſerfarben wahrſcheinlich dazu beygetragen; da- hingegen die neuern Maler ſchon durch die Natur der Oelmalerey, welche dem Duͤſtern guͤnſtig iſt, und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/130>, abgerufen am 18.04.2024.