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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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Geschwindigkeit mit der sie arbeiteten, hervorgethan.
Diese waren also genöthigt, dem Wesentlichen, Ge-
nauen, sorgfältig Ausstudirten und Wohlgeendigten zu
entsagen, und das bloß Scheinbare zu suchen. Und
so werden ihre Arbeiten gegen die Werke des Apelles
und Protogenes gehalten, ungefähr eben das Verhält-
niß, wie in neuerer Zeit die Gemälde des Peter von
Cortona und des Luca Giordano gegen die des Michel
Angelo oder Raphael, gehabt haben.

Mit diesen wenigen Betrachtungen sind wir frey-
lich genöthigt, einen Zeitraum von etwa dreyhundert
Jahren, nämlich von Alexander dem Großen an bis
zu den ersten römischen Kaisern, dürftig auszufüllen.
Allein die spärlichen Nachrichten erlauben kein größeres
Detail. Von hier an treten wir jedoch aus der Dun-
kelheit einigermaßen heraus, und können unsere Unter-
suchungen auf festerem Grunde fortsetzen. Wenn wir
uns sonst begnügen mußten zu sagen: es scheint, wir
meynen, wir vermuthen; so werden nunmehr That-
sachen angeführt werden können, indem wirklich noch
Monumente der alten Malerey aus der Zeit, da Pli-
nius schrieb, wohl auch noch von etwas früherem
Datum, vorhanden sind; desgleichen andere, welche
uns über den Zustand der Malerey in späteren Zeiten
belehren.

Bey weitem die größte Zahl der noch jetzt vorhan-
denen antiken Gemälde wurde in den Grüften von
Herculanum und Pompeji wieder gefunden. Nach

Geſchwindigkeit mit der ſie arbeiteten, hervorgethan.
Dieſe waren alſo genoͤthigt, dem Weſentlichen, Ge-
nauen, ſorgfaͤltig Ausſtudirten und Wohlgeendigten zu
entſagen, und das bloß Scheinbare zu ſuchen. Und
ſo werden ihre Arbeiten gegen die Werke des Apelles
und Protogenes gehalten, ungefaͤhr eben das Verhaͤlt-
niß, wie in neuerer Zeit die Gemaͤlde des Peter von
Cortona und des Luca Giordano gegen die des Michel
Angelo oder Raphael, gehabt haben.

Mit dieſen wenigen Betrachtungen ſind wir frey-
lich genoͤthigt, einen Zeitraum von etwa dreyhundert
Jahren, naͤmlich von Alexander dem Großen an bis
zu den erſten roͤmiſchen Kaiſern, duͤrftig auszufuͤllen.
Allein die ſpaͤrlichen Nachrichten erlauben kein groͤßeres
Detail. Von hier an treten wir jedoch aus der Dun-
kelheit einigermaßen heraus, und koͤnnen unſere Unter-
ſuchungen auf feſterem Grunde fortſetzen. Wenn wir
uns ſonſt begnuͤgen mußten zu ſagen: es ſcheint, wir
meynen, wir vermuthen; ſo werden nunmehr That-
ſachen angefuͤhrt werden koͤnnen, indem wirklich noch
Monumente der alten Malerey aus der Zeit, da Pli-
nius ſchrieb, wohl auch noch von etwas fruͤherem
Datum, vorhanden ſind; desgleichen andere, welche
uns uͤber den Zuſtand der Malerey in ſpaͤteren Zeiten
belehren.

Bey weitem die groͤßte Zahl der noch jetzt vorhan-
denen antiken Gemaͤlde wurde in den Gruͤften von
Herculanum und Pompeji wieder gefunden. Nach

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[94/0128] Geſchwindigkeit mit der ſie arbeiteten, hervorgethan. Dieſe waren alſo genoͤthigt, dem Weſentlichen, Ge- nauen, ſorgfaͤltig Ausſtudirten und Wohlgeendigten zu entſagen, und das bloß Scheinbare zu ſuchen. Und ſo werden ihre Arbeiten gegen die Werke des Apelles und Protogenes gehalten, ungefaͤhr eben das Verhaͤlt- niß, wie in neuerer Zeit die Gemaͤlde des Peter von Cortona und des Luca Giordano gegen die des Michel Angelo oder Raphael, gehabt haben. Mit dieſen wenigen Betrachtungen ſind wir frey- lich genoͤthigt, einen Zeitraum von etwa dreyhundert Jahren, naͤmlich von Alexander dem Großen an bis zu den erſten roͤmiſchen Kaiſern, duͤrftig auszufuͤllen. Allein die ſpaͤrlichen Nachrichten erlauben kein groͤßeres Detail. Von hier an treten wir jedoch aus der Dun- kelheit einigermaßen heraus, und koͤnnen unſere Unter- ſuchungen auf feſterem Grunde fortſetzen. Wenn wir uns ſonſt begnuͤgen mußten zu ſagen: es ſcheint, wir meynen, wir vermuthen; ſo werden nunmehr That- ſachen angefuͤhrt werden koͤnnen, indem wirklich noch Monumente der alten Malerey aus der Zeit, da Pli- nius ſchrieb, wohl auch noch von etwas fruͤherem Datum, vorhanden ſind; desgleichen andere, welche uns uͤber den Zuſtand der Malerey in ſpaͤteren Zeiten belehren. Bey weitem die groͤßte Zahl der noch jetzt vorhan- denen antiken Gemaͤlde wurde in den Gruͤften von Herculanum und Pompeji wieder gefunden. Nach

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/128>, abgerufen am 28.11.2024.