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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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und Farbenmischung betreffen: denn die Zeichnung
war damals schon auf den Gipfel des Großen, Ed-
len, Würdigen gelangt, wovon die plastischen Werke
jener Zeit zu unverwerflichem Zeugniß dienen können.

Um die neunzigste Olympiade scheint sich die Ma-
lerey bis zur Selbständigkeit emporgearbeitet zu haben.
Offenbar setzt Plinius einen bedeutenden Lebenspunct,
das Beginnen einer neuen Epoche der Malerey, in
diese Zeit, hat aber zu bemerken unterlassen, worin
die wesentliche, damals bewirkte Verbesserung eigent-
lich bestanden habe. Wir machen uns davon unge-
fähr folgende Vorstellung.

Bis auf diese Zeit waren die schnelleren Fortschritte
der malenden Kunst noch immer gehindert, theils
weil die Künstler dieses Fachs die nothwendige Fertig-
keit und Bequemlichkeit der Behandlung noch nicht in
ihrer Gewalt haben mochten, theils weil es ihnen an
zweckmäßigen Werkzeugen gebrach. In der frühsten
Zeit bediente man sich des Griffels; allein dieser konnte
doch wohl nur bloße Umrisse zu ziehen gebraucht wer-
den. Sobald aber die Absicht, mehrere Farben an-
zuwenden, entstanden war, trat auch das nothwendige
Bedürfniß eines die Auftragung derselben erleichternden
Werkzeuges ein. Wie aber und wann eigentlich zu
solchem Behuf der Pinsel erdacht und nach und nach
vervollkommnet worden, davon ist keine sichere Nach-
richt vorhanden.

Im Besitz zwar einfacher, aber doch für die

und Farbenmiſchung betreffen: denn die Zeichnung
war damals ſchon auf den Gipfel des Großen, Ed-
len, Wuͤrdigen gelangt, wovon die plaſtiſchen Werke
jener Zeit zu unverwerflichem Zeugniß dienen koͤnnen.

Um die neunzigſte Olympiade ſcheint ſich die Ma-
lerey bis zur Selbſtaͤndigkeit emporgearbeitet zu haben.
Offenbar ſetzt Plinius einen bedeutenden Lebenspunct,
das Beginnen einer neuen Epoche der Malerey, in
dieſe Zeit, hat aber zu bemerken unterlaſſen, worin
die weſentliche, damals bewirkte Verbeſſerung eigent-
lich beſtanden habe. Wir machen uns davon unge-
faͤhr folgende Vorſtellung.

Bis auf dieſe Zeit waren die ſchnelleren Fortſchritte
der malenden Kunſt noch immer gehindert, theils
weil die Kuͤnſtler dieſes Fachs die nothwendige Fertig-
keit und Bequemlichkeit der Behandlung noch nicht in
ihrer Gewalt haben mochten, theils weil es ihnen an
zweckmaͤßigen Werkzeugen gebrach. In der fruͤhſten
Zeit bediente man ſich des Griffels; allein dieſer konnte
doch wohl nur bloße Umriſſe zu ziehen gebraucht wer-
den. Sobald aber die Abſicht, mehrere Farben an-
zuwenden, entſtanden war, trat auch das nothwendige
Beduͤrfniß eines die Auftragung derſelben erleichternden
Werkzeuges ein. Wie aber und wann eigentlich zu
ſolchem Behuf der Pinſel erdacht und nach und nach
vervollkommnet worden, davon iſt keine ſichere Nach-
richt vorhanden.

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[77/0111] und Farbenmiſchung betreffen: denn die Zeichnung war damals ſchon auf den Gipfel des Großen, Ed- len, Wuͤrdigen gelangt, wovon die plaſtiſchen Werke jener Zeit zu unverwerflichem Zeugniß dienen koͤnnen. Um die neunzigſte Olympiade ſcheint ſich die Ma- lerey bis zur Selbſtaͤndigkeit emporgearbeitet zu haben. Offenbar ſetzt Plinius einen bedeutenden Lebenspunct, das Beginnen einer neuen Epoche der Malerey, in dieſe Zeit, hat aber zu bemerken unterlaſſen, worin die weſentliche, damals bewirkte Verbeſſerung eigent- lich beſtanden habe. Wir machen uns davon unge- faͤhr folgende Vorſtellung. Bis auf dieſe Zeit waren die ſchnelleren Fortſchritte der malenden Kunſt noch immer gehindert, theils weil die Kuͤnſtler dieſes Fachs die nothwendige Fertig- keit und Bequemlichkeit der Behandlung noch nicht in ihrer Gewalt haben mochten, theils weil es ihnen an zweckmaͤßigen Werkzeugen gebrach. In der fruͤhſten Zeit bediente man ſich des Griffels; allein dieſer konnte doch wohl nur bloße Umriſſe zu ziehen gebraucht wer- den. Sobald aber die Abſicht, mehrere Farben an- zuwenden, entſtanden war, trat auch das nothwendige Beduͤrfniß eines die Auftragung derſelben erleichternden Werkzeuges ein. Wie aber und wann eigentlich zu ſolchem Behuf der Pinſel erdacht und nach und nach vervollkommnet worden, davon iſt keine ſichere Nach- richt vorhanden. Im Beſitz zwar einfacher, aber doch fuͤr die

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/111>, abgerufen am 20.04.2024.