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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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wie wir, wird sie gern in sich aufnehmen. Eben
so wenig haben wir Lust, sie künftig durch Kampf
und Streit zu vertheidigen. Denn es hatte von
jeher etwas gefährliches, von der Farbe zu handeln,
dergestalt daß einer unserer Vorgänger gelegentlich
gar zu äußern wagt: Hält man dem Stier ein ro-
thes Tuch vor, so wird er wüthend; aber der Phi-
losoph, wenn man nur überhaupt von Farbe spricht,
fängt an zu rasen.

Sollen wir jedoch nunmehr von unserem Vor-
trag, auf den wir uns berufen, einige Rechenschaft
geben, so müssen wir vor allen Dingen anzeigen,
wie wir die verschiedenen Bedingungen, unter wel-
chen die Farbe sich zeigen mag, gesondert. Wir
fanden dreyerley Erscheinungsweisen, dreyerley Ar-
ten von Farben, oder wenn man lieber will, drey-
erley Ansichten derselben, deren Unterschied sich aus-
sprechen läßt.

Wir betrachteten also die Farben zuerst, in so-
fern sie dem Auge angehören und auf einer Wir-
kung und Gegenwirkung desselben beruhen; ferner
zogen sie unsere Aufmerksamkeit an sich, indem wir
sie an farblosen Mitteln oder durch deren Beyhülfe
gewahrten; zuletzt aber wurden sie uns merkwürdig,

wie wir, wird ſie gern in ſich aufnehmen. Eben
ſo wenig haben wir Luſt, ſie kuͤnftig durch Kampf
und Streit zu vertheidigen. Denn es hatte von
jeher etwas gefaͤhrliches, von der Farbe zu handeln,
dergeſtalt daß einer unſerer Vorgaͤnger gelegentlich
gar zu aͤußern wagt: Haͤlt man dem Stier ein ro-
thes Tuch vor, ſo wird er wuͤthend; aber der Phi-
loſoph, wenn man nur uͤberhaupt von Farbe ſpricht,
faͤngt an zu raſen.

Sollen wir jedoch nunmehr von unſerem Vor-
trag, auf den wir uns berufen, einige Rechenſchaft
geben, ſo muͤſſen wir vor allen Dingen anzeigen,
wie wir die verſchiedenen Bedingungen, unter wel-
chen die Farbe ſich zeigen mag, geſondert. Wir
fanden dreyerley Erſcheinungsweiſen, dreyerley Ar-
ten von Farben, oder wenn man lieber will, drey-
erley Anſichten derſelben, deren Unterſchied ſich aus-
ſprechen laͤßt.

Wir betrachteten alſo die Farben zuerſt, in ſo-
fern ſie dem Auge angehoͤren und auf einer Wir-
kung und Gegenwirkung deſſelben beruhen; ferner
zogen ſie unſere Aufmerkſamkeit an ſich, indem wir
ſie an farbloſen Mitteln oder durch deren Beyhuͤlfe
gewahrten; zuletzt aber wurden ſie uns merkwuͤrdig,

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[XL/0046] wie wir, wird ſie gern in ſich aufnehmen. Eben ſo wenig haben wir Luſt, ſie kuͤnftig durch Kampf und Streit zu vertheidigen. Denn es hatte von jeher etwas gefaͤhrliches, von der Farbe zu handeln, dergeſtalt daß einer unſerer Vorgaͤnger gelegentlich gar zu aͤußern wagt: Haͤlt man dem Stier ein ro- thes Tuch vor, ſo wird er wuͤthend; aber der Phi- loſoph, wenn man nur uͤberhaupt von Farbe ſpricht, faͤngt an zu raſen. Sollen wir jedoch nunmehr von unſerem Vor- trag, auf den wir uns berufen, einige Rechenſchaft geben, ſo muͤſſen wir vor allen Dingen anzeigen, wie wir die verſchiedenen Bedingungen, unter wel- chen die Farbe ſich zeigen mag, geſondert. Wir fanden dreyerley Erſcheinungsweiſen, dreyerley Ar- ten von Farben, oder wenn man lieber will, drey- erley Anſichten derſelben, deren Unterſchied ſich aus- ſprechen laͤßt. Wir betrachteten alſo die Farben zuerſt, in ſo- fern ſie dem Auge angehoͤren und auf einer Wir- kung und Gegenwirkung deſſelben beruhen; ferner zogen ſie unſere Aufmerkſamkeit an ſich, indem wir ſie an farbloſen Mitteln oder durch deren Beyhuͤlfe gewahrten; zuletzt aber wurden ſie uns merkwuͤrdig,

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XL. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/46>, abgerufen am 19.04.2024.