dahin; flüchtige Abrisse zeigt man in allen Schu- len herum und empfiehlt sie der empfänglichen Ju- gend zur Verehrung, indessen das Gebäude bereits leer steht, nur von einigen Invaliden bewacht, die sich ganz ernsthaft für gerüstet halten.
Es ist also hier die Rede nicht von einer lang- wierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Al- terthum, und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene laby- rinthisch unzusammenhängende Bauart, das enge Nothdürftige, das zufällig Aufgedrungene, das absichtlich Gekünstelte, das kümmerlich Geflickte. Ein solcher Einblick ist aber alsdann nur möglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewölbe
dahin; fluͤchtige Abriſſe zeigt man in allen Schu- len herum und empfiehlt ſie der empfaͤnglichen Ju- gend zur Verehrung, indeſſen das Gebaͤude bereits leer ſteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die ſich ganz ernſthaft fuͤr geruͤſtet halten.
Es iſt alſo hier die Rede nicht von einer lang- wierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt ſchon als ein verlaſſenes, Einſturz drohendes Al- terthum, und beginnen ſogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umſtaͤnde abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulenneſt hineinſcheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene laby- rinthiſch unzuſammenhaͤngende Bauart, das enge Nothduͤrftige, das zufaͤllig Aufgedrungene, das abſichtlich Gekuͤnſtelte, das kuͤmmerlich Geflickte. Ein ſolcher Einblick iſt aber alsdann nur moͤglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewoͤlbe
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[XVIII/0024]
dahin; fluͤchtige Abriſſe zeigt man in allen Schu-
len herum und empfiehlt ſie der empfaͤnglichen Ju-
gend zur Verehrung, indeſſen das Gebaͤude bereits
leer ſteht, nur von einigen Invaliden bewacht,
die ſich ganz ernſthaft fuͤr geruͤſtet halten.
Es iſt alſo hier die Rede nicht von einer lang-
wierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde.
Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt
ſchon als ein verlaſſenes, Einſturz drohendes Al-
terthum, und beginnen ſogleich von Giebel und
Dach herab es ohne weitere Umſtaͤnde abzutragen,
damit die Sonne doch endlich einmal in das alte
Ratten- und Eulenneſt hineinſcheine und dem Auge
des verwunderten Wanderers offenbare jene laby-
rinthiſch unzuſammenhaͤngende Bauart, das enge
Nothduͤrftige, das zufaͤllig Aufgedrungene, das
abſichtlich Gekuͤnſtelte, das kuͤmmerlich Geflickte.
Ein ſolcher Einblick iſt aber alsdann nur moͤglich,
wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewoͤlbe
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/24>, abgerufen am 22.12.2024.
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