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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810.

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spricht, ihr Daseyn, ihre Kraft, ihr Leben und
ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder,
dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hör-
baren ein unendlich Lebendiges fassen kann.

So spricht die Natur hinabwärts zu andern
Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten
Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns
durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksa-
men ist sie nirgends todt noch stumm; ja dem
starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugege-
ben, ein Metall, an dessen kleinsten Theilen wir
dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, ge-
wahr werden sollten.

So mannigfaltig, so verwickelt und unver-
ständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so
bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit
leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die
Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben
und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor

ſpricht, ihr Daſeyn, ihre Kraft, ihr Leben und
ihre Verhaͤltniſſe offenbart, ſo daß ein Blinder,
dem das unendlich Sichtbare verſagt iſt, im Hoͤr-
baren ein unendlich Lebendiges faſſen kann.

So ſpricht die Natur hinabwaͤrts zu andern
Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten
Sinnen; ſo ſpricht ſie mit ſich ſelbſt und zu uns
durch tauſend Erſcheinungen. Dem Aufmerkſa-
men iſt ſie nirgends todt noch ſtumm; ja dem
ſtarren Erdkoͤrper hat ſie einen Vertrauten zugege-
ben, ein Metall, an deſſen kleinſten Theilen wir
dasjenige, was in der ganzen Maſſe vorgeht, ge-
wahr werden ſollten.

So mannigfaltig, ſo verwickelt und unver-
ſtaͤndlich uns oft dieſe Sprache ſcheinen mag, ſo
bleiben doch ihre Elemente immer dieſelbigen. Mit
leiſem Gewicht und Gegengewicht waͤgt ſich die
Natur hin und her, und ſo entſteht ein Huͤben
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[XI/0017] ſpricht, ihr Daſeyn, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhaͤltniſſe offenbart, ſo daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare verſagt iſt, im Hoͤr- baren ein unendlich Lebendiges faſſen kann. So ſpricht die Natur hinabwaͤrts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; ſo ſpricht ſie mit ſich ſelbſt und zu uns durch tauſend Erſcheinungen. Dem Aufmerkſa- men iſt ſie nirgends todt noch ſtumm; ja dem ſtarren Erdkoͤrper hat ſie einen Vertrauten zugege- ben, ein Metall, an deſſen kleinſten Theilen wir dasjenige, was in der ganzen Maſſe vorgeht, ge- wahr werden ſollten. So mannigfaltig, ſo verwickelt und unver- ſtaͤndlich uns oft dieſe Sprache ſcheinen mag, ſo bleiben doch ihre Elemente immer dieſelbigen. Mit leiſem Gewicht und Gegengewicht waͤgt ſich die Natur hin und her, und ſo entſteht ein Huͤben und Druͤben, ein Oben und Unten, ein Zuvor

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 1. Tübingen, 1810, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre01_1810/17>, abgerufen am 20.04.2024.