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Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

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Dass er geistig in gleich hohem Grade
gebildet gewesen beweist die gute Auf-
nahme die er an dem Hofe von Gasna ge-
funden, dass er zum Gesellschafter des Für-
sten ernannt war, welches damals viel hei-
ssen wollte, weil er gewandt seyn musste,
verständig und angenehm von allem Vor-
kommenden genügende Rechenschaft zu ge-
ben.

Unsicher war die Thronfolge von Ghi-
lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst,
wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach-
barn. Endlich nach dem Tode seines erst
abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö-
niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit
grosser Weisheit und entschiedener Erge-
benheit in die mögliche Folge der Ereig-
nisse den Thron, und, in hohem Alter,
da er voraussah dass der Sohn Ghilan
Schach
noch einen gefährlichern Stand
haben werde als er selbst, schreibt er diess
merkwürdige Buch, worin er zu seinem
Sohne spricht: "dass er ihn mit Künsten
und Wissenschaften aus dem doppelten
Grunde bekannt mache, um entweder durch
irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge-

Daſs er geistig in gleich hohem Grade
gebildet gewesen beweist die gute Auf-
nahme die er an dem Hofe von Gasna ge-
funden, daſs er zum Gesellschafter des Für-
sten ernannt war, welches damals viel hei-
ſsen wollte, weil er gewandt seyn muſste,
verständig und angenehm von allem Vor-
kommenden genügende Rechenschaft zu ge-
ben.

Unsicher war die Thronfolge von Ghi-
lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst,
wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach-
barn. Endlich nach dem Tode seines erst
abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö-
niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit
groſser Weisheit und entschiedener Erge-
benheit in die mögliche Folge der Ereig-
nisse den Thron, und, in hohem Alter,
da er voraussah daſs der Sohn Ghilan
Schach
noch einen gefährlichern Stand
haben werde als er selbst, schreibt er dieſs
merkwürdige Buch, worin er zu seinem
Sohne spricht: „daſs er ihn mit Künsten
und Wissenschaften aus dem doppelten
Grunde bekannt mache, um entweder durch
irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge-

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[516/0526] Daſs er geistig in gleich hohem Grade gebildet gewesen beweist die gute Auf- nahme die er an dem Hofe von Gasna ge- funden, daſs er zum Gesellschafter des Für- sten ernannt war, welches damals viel hei- ſsen wollte, weil er gewandt seyn muſste, verständig und angenehm von allem Vor- kommenden genügende Rechenschaft zu ge- ben. Unsicher war die Thronfolge von Ghi- lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst, wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach- barn. Endlich nach dem Tode seines erst abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö- niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit groſser Weisheit und entschiedener Erge- benheit in die mögliche Folge der Ereig- nisse den Thron, und, in hohem Alter, da er voraussah daſs der Sohn Ghilan Schach noch einen gefährlichern Stand haben werde als er selbst, schreibt er dieſs merkwürdige Buch, worin er zu seinem Sohne spricht: „daſs er ihn mit Künsten und Wissenschaften aus dem doppelten Grunde bekannt mache, um entweder durch irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge-

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/526>, abgerufen am 24.11.2024.