Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

aber durch einen verstärkten Boden so
schwer, dass der ununterrichtete Gast den
Wein verschüttet, wo nicht gar den Be-
cher, zu höchster Belustigung des Herrn
und der Eingeweihten, fallen lässt. Und
so trinkt man im Kreise herum, bis einer,
unfähig länger sich auf den Füssen zu hal-
ten, weggeführt wird, oder zur rechten
Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird
dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei-
ner verliert sich nach dem andern, bis zu-
letzt der Herrscher allein bleibt, einer me-
lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu-
hört und sich endlich auch zur Ruhe be-
giebt. Noch seltsamere Geschichten wer-
den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen
ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm
balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su-
chen, wobey er sich, unter grossem Geläch-
ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und
zu rächen sucht.

Indem wir nun dergleichen lustige Din-
ge von den innern Unterhaltungen des Kai-
serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir
nicht denken, dass der Fürst und sein Staats-
Divan müssig oder nachlässig geblieben.

aber durch einen verstärkten Boden so
schwer, daſs der ununterrichtete Gast den
Wein verschüttet, wo nicht gar den Be-
cher, zu höchster Belustigung des Herrn
und der Eingeweihten, fallen läſst. Und
so trinkt man im Kreise herum, bis einer,
unfähig länger sich auf den Füſsen zu hal-
ten, weggeführt wird, oder zur rechten
Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird
dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei-
ner verliert sich nach dem andern, bis zu-
letzt der Herrscher allein bleibt, einer me-
lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu-
hört und sich endlich auch zur Ruhe be-
giebt. Noch seltsamere Geschichten wer-
den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen
ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm
balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su-
chen, wobey er sich, unter groſsem Geläch-
ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und
zu rächen sucht.

Indem wir nun dergleichen lustige Din-
ge von den innern Unterhaltungen des Kai-
serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir
nicht denken, daſs der Fürst und sein Staats-
Divan müssig oder nachlässig geblieben.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0487" n="475[477]"/>
aber durch einen verstärkten Boden so<lb/>
schwer, da&#x017F;s der ununterrichtete Gast den<lb/>
Wein verschüttet, wo nicht gar den Be-<lb/>
cher, zu höchster Belustigung des Herrn<lb/>
und der Eingeweihten, fallen lä&#x017F;st. Und<lb/>
so trinkt man im Kreise herum, bis einer,<lb/>
unfähig länger sich auf den Fü&#x017F;sen zu hal-<lb/>
ten, weggeführt wird, oder zur rechten<lb/>
Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird<lb/>
dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei-<lb/>
ner verliert sich nach dem andern, bis zu-<lb/>
letzt der Herrscher allein bleibt, einer me-<lb/>
lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu-<lb/>
hört und sich endlich auch zur Ruhe be-<lb/>
giebt. Noch seltsamere Geschichten wer-<lb/>
den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen<lb/>
ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm<lb/>
balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su-<lb/>
chen, wobey er sich, unter gro&#x017F;sem Geläch-<lb/>
ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und<lb/>
zu rächen sucht.</p><lb/>
          <p>Indem wir nun dergleichen lustige Din-<lb/>
ge von den innern Unterhaltungen des Kai-<lb/>
serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir<lb/>
nicht denken, da&#x017F;s der Fürst und sein Staats-<lb/>
Divan müssig oder nachlässig geblieben.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475[477]/0487] aber durch einen verstärkten Boden so schwer, daſs der ununterrichtete Gast den Wein verschüttet, wo nicht gar den Be- cher, zu höchster Belustigung des Herrn und der Eingeweihten, fallen läſst. Und so trinkt man im Kreise herum, bis einer, unfähig länger sich auf den Füſsen zu hal- ten, weggeführt wird, oder zur rechten Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei- ner verliert sich nach dem andern, bis zu- letzt der Herrscher allein bleibt, einer me- lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu- hört und sich endlich auch zur Ruhe be- giebt. Noch seltsamere Geschichten wer- den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su- chen, wobey er sich, unter groſsem Geläch- ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und zu rächen sucht. Indem wir nun dergleichen lustige Din- ge von den innern Unterhaltungen des Kai- serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir nicht denken, daſs der Fürst und sein Staats- Divan müssig oder nachlässig geblieben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/487
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: West-östlicher Divan. Stuttgart, 1819, S. 475[477]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_divan_1819/487>, abgerufen am 16.06.2024.