Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

unfreundliche Natur sich wahren muß, drängt der
innere verschlossene Geist die Fühlhörner hinaus in
die weite freye Umgebung, und es ist rührend zu se-
hen, wie er um sich tastend, und Alles umher begrei-
fend, und nach allen Richtungen sich windend, nach
Weltanschauung ringt, und auch sich ergötzen mögte
in dem freundlichen Strahl, der die Seele aller Crea-
turen ist. Es ist daher ein anderer Hunger und ein
anderer Durst, als jener blos sinnliche, der hier sich
im Volke regt; nicht nach körperlicher Speise sehnt
er sich, damit er in Leibliches sie wandle, sondern
nach dem höheren Geiste lüstert ihn, den der Genius
ausgegossen aus seiner Schaale in die rohe Materie,
und der als ihre Seele sie sich nun zugestaltet hat.
In die Tiefe zieht das Thier im Menschen die Lei-
besnahrung zu sich nieder, und wiederkäuend und
assimilirend die Lebenslymphe erstarkt es, und gewinnt
Breite und Raum auf Erden; aber der Gott im
Menschen mag nur den feinsten Wohlgeruch der Dinge,
den zarten Duft, der aus ihnen unbegreiflich und un-
sichtbar athmet, er nährt sich nur mit den Lebens-
geistern, die im Innersten der Wesen verborgen woh-
nen, die er dann einsaugt mit allen Nerven, und sich
aneignet als eines höheren Himmels Speise, und in
der Aneignung selbst verklärt. Dieser Geist muß sich

unfreundliche Natur ſich wahren muß, drängt der
innere verſchloſſene Geiſt die Fühlhörner hinaus in
die weite freye Umgebung, und es iſt rührend zu ſe-
hen, wie er um ſich taſtend, und Alles umher begrei-
fend, und nach allen Richtungen ſich windend, nach
Weltanſchauung ringt, und auch ſich ergötzen mögte
in dem freundlichen Strahl, der die Seele aller Crea-
turen iſt. Es iſt daher ein anderer Hunger und ein
anderer Durſt, als jener blos ſinnliche, der hier ſich
im Volke regt; nicht nach körperlicher Speiſe ſehnt
er ſich, damit er in Leibliches ſie wandle, ſondern
nach dem höheren Geiſte lüſtert ihn, den der Genius
ausgegoſſen aus ſeiner Schaale in die rohe Materie,
und der als ihre Seele ſie ſich nun zugeſtaltet hat.
In die Tiefe zieht das Thier im Menſchen die Lei-
besnahrung zu ſich nieder, und wiederkäuend und
aſſimilirend die Lebenslymphe erſtarkt es, und gewinnt
Breite und Raum auf Erden; aber der Gott im
Menſchen mag nur den feinſten Wohlgeruch der Dinge,
den zarten Duft, der aus ihnen unbegreiflich und un-
ſichtbar athmet, er nährt ſich nur mit den Lebens-
geiſtern, die im Innerſten der Weſen verborgen woh-
nen, die er dann einſaugt mit allen Nerven, und ſich
aneignet als eines höheren Himmels Speiſe, und in
der Aneignung ſelbſt verklärt. Dieſer Geiſt muß ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="13"/>
unfreundliche Natur &#x017F;ich wahren muß, drängt der<lb/>
innere ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Gei&#x017F;t die Fühlhörner hinaus in<lb/>
die weite freye Umgebung, und es i&#x017F;t rührend zu &#x017F;e-<lb/>
hen, wie er um &#x017F;ich ta&#x017F;tend, und Alles umher begrei-<lb/>
fend, und nach allen Richtungen &#x017F;ich windend, nach<lb/>
Weltan&#x017F;chauung ringt, und auch &#x017F;ich ergötzen mögte<lb/>
in dem freundlichen Strahl, der die Seele aller Crea-<lb/>
turen i&#x017F;t. Es i&#x017F;t daher ein anderer Hunger und ein<lb/>
anderer Dur&#x017F;t, als jener blos &#x017F;innliche, der hier &#x017F;ich<lb/>
im Volke regt; nicht nach körperlicher Spei&#x017F;e &#x017F;ehnt<lb/>
er &#x017F;ich, damit er in Leibliches &#x017F;ie wandle, &#x017F;ondern<lb/>
nach dem höheren Gei&#x017F;te lü&#x017F;tert ihn, den der Genius<lb/>
ausgego&#x017F;&#x017F;en aus &#x017F;einer Schaale in die rohe Materie,<lb/>
und der als ihre Seele &#x017F;ie &#x017F;ich nun zuge&#x017F;taltet hat.<lb/>
In die Tiefe zieht das Thier im Men&#x017F;chen die Lei-<lb/>
besnahrung zu &#x017F;ich nieder, und wiederkäuend und<lb/>
a&#x017F;&#x017F;imilirend die Lebenslymphe er&#x017F;tarkt es, und gewinnt<lb/>
Breite und Raum auf Erden; aber der Gott im<lb/>
Men&#x017F;chen mag nur den fein&#x017F;ten Wohlgeruch der Dinge,<lb/>
den zarten Duft, der aus ihnen unbegreiflich und un-<lb/>
&#x017F;ichtbar athmet, er nährt &#x017F;ich nur mit den Lebens-<lb/>
gei&#x017F;tern, die im Inner&#x017F;ten der We&#x017F;en verborgen woh-<lb/>
nen, die er dann ein&#x017F;augt mit allen Nerven, und &#x017F;ich<lb/>
aneignet als eines höheren Himmels Spei&#x017F;e, und in<lb/>
der Aneignung &#x017F;elb&#x017F;t verklärt. Die&#x017F;er Gei&#x017F;t muß &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0031] unfreundliche Natur ſich wahren muß, drängt der innere verſchloſſene Geiſt die Fühlhörner hinaus in die weite freye Umgebung, und es iſt rührend zu ſe- hen, wie er um ſich taſtend, und Alles umher begrei- fend, und nach allen Richtungen ſich windend, nach Weltanſchauung ringt, und auch ſich ergötzen mögte in dem freundlichen Strahl, der die Seele aller Crea- turen iſt. Es iſt daher ein anderer Hunger und ein anderer Durſt, als jener blos ſinnliche, der hier ſich im Volke regt; nicht nach körperlicher Speiſe ſehnt er ſich, damit er in Leibliches ſie wandle, ſondern nach dem höheren Geiſte lüſtert ihn, den der Genius ausgegoſſen aus ſeiner Schaale in die rohe Materie, und der als ihre Seele ſie ſich nun zugeſtaltet hat. In die Tiefe zieht das Thier im Menſchen die Lei- besnahrung zu ſich nieder, und wiederkäuend und aſſimilirend die Lebenslymphe erſtarkt es, und gewinnt Breite und Raum auf Erden; aber der Gott im Menſchen mag nur den feinſten Wohlgeruch der Dinge, den zarten Duft, der aus ihnen unbegreiflich und un- ſichtbar athmet, er nährt ſich nur mit den Lebens- geiſtern, die im Innerſten der Weſen verborgen woh- nen, die er dann einſaugt mit allen Nerven, und ſich aneignet als eines höheren Himmels Speiſe, und in der Aneignung ſelbſt verklärt. Dieſer Geiſt muß ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/31
Zitationshilfe: Görres, Joseph: Die teutschen Volksbücher. Heidelberg, 1807, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_volksbuecher_1807/31>, abgerufen am 05.05.2024.