Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

Kapitel von Münster erlangt, als ein Pfand der Er¬
füllung angenommen. Allein auch hier geschah gerade
so viel wie im Verfassungswerke; die Kirche blieb
zum Aergerniß aller Menschen in stärkerem Verfall,
als sie je unter französischer Herrschaft gewesen, und
auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬
wiesen. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬
schrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche
Reden von Frömmigkeit und christlicher Tugend hat¬
ten zum Theil den alten diplomatischen Canzleystyl
verdrängt: aber die Regel des Christenthums, Jedem
zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht
nach außen, so jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬
ten Domänen, die ärmlichen Reste des großen Rau¬
bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der
Landesschuld, und die einzige mögliche Dotation
der Kirche wurde trotz aller Protestation zum Ver¬
kaufe ausgesetzt; das ganze Staats-Ministerium, un¬
eingedenk der königlichen Schuld, unterschrieb den
Antrag zur Veräußerung, gleichsam als könne die
Unterschrift Vieler der Handlung einen rechtlichern
Character geben, und als werde, was unchristlich ist,
christlich dadurch, daß Mehrere sich in dieselbe Sünde
theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophisten, die diese
Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬
walt verschreiben, lehrte, nur wenn die Diener der
Kirche beym Staate als Beamten den Gnadentisch ge¬
nössen, könne dieser sich Ruhe und Sicherheit ver¬
sprechen; Domänen reizten überdem die Raubsucht
des Feindes, und man thue besser darum, das Land
von so angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie

Kapitel von Münſter erlangt, als ein Pfand der Er¬
füllung angenommen. Allein auch hier geſchah gerade
ſo viel wie im Verfaſſungswerke; die Kirche blieb
zum Aergerniß aller Menſchen in ſtärkerem Verfall,
als ſie je unter franzöſiſcher Herrſchaft geweſen, und
auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬
wieſen. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬
ſchrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche
Reden von Frömmigkeit und chriſtlicher Tugend hat¬
ten zum Theil den alten diplomatiſchen Canzleyſtyl
verdrängt: aber die Regel des Chriſtenthums, Jedem
zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht
nach außen, ſo jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬
ten Domänen, die ärmlichen Reſte des großen Rau¬
bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der
Landesſchuld, und die einzige mögliche Dotation
der Kirche wurde trotz aller Proteſtation zum Ver¬
kaufe ausgeſetzt; das ganze Staats-Miniſterium, un¬
eingedenk der königlichen Schuld, unterſchrieb den
Antrag zur Veräußerung, gleichſam als könne die
Unterſchrift Vieler der Handlung einen rechtlichern
Character geben, und als werde, was unchriſtlich iſt,
chriſtlich dadurch, daß Mehrere ſich in dieſelbe Sünde
theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophiſten, die dieſe
Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬
walt verſchreiben, lehrte, nur wenn die Diener der
Kirche beym Staate als Beamten den Gnadentiſch ge¬
nöſſen, könne dieſer ſich Ruhe und Sicherheit ver¬
ſprechen; Domänen reizten überdem die Raubſucht
des Feindes, und man thue beſſer darum, das Land
von ſo angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0086" n="78"/>
Kapitel von Mün&#x017F;ter erlangt, als ein Pfand der Er¬<lb/>
füllung angenommen. Allein auch hier ge&#x017F;chah gerade<lb/>
&#x017F;o viel wie im Verfa&#x017F;&#x017F;ungswerke; die Kirche blieb<lb/>
zum Aergerniß aller Men&#x017F;chen in &#x017F;tärkerem Verfall,<lb/>
als &#x017F;ie je unter franzö&#x017F;i&#x017F;cher Herr&#x017F;chaft gewe&#x017F;en, und<lb/>
auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬<lb/>
wie&#x017F;en. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬<lb/>
&#x017F;chrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche<lb/>
Reden von Frömmigkeit und chri&#x017F;tlicher Tugend hat¬<lb/>
ten zum Theil den alten diplomati&#x017F;chen Canzley&#x017F;tyl<lb/>
verdrängt: aber die Regel des Chri&#x017F;tenthums, Jedem<lb/>
zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht<lb/>
nach außen, &#x017F;o jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬<lb/>
ten Domänen, die ärmlichen Re&#x017F;te des großen Rau¬<lb/>
bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der<lb/>
Landes&#x017F;chuld, und die einzige mögliche Dotation<lb/>
der Kirche wurde trotz aller Prote&#x017F;tation zum Ver¬<lb/>
kaufe ausge&#x017F;etzt; das ganze Staats-Mini&#x017F;terium, un¬<lb/>
eingedenk der königlichen Schuld, unter&#x017F;chrieb den<lb/>
Antrag zur Veräußerung, gleich&#x017F;am als könne die<lb/>
Unter&#x017F;chrift Vieler der Handlung einen rechtlichern<lb/>
Character geben, und als werde, was unchri&#x017F;tlich i&#x017F;t,<lb/>
chri&#x017F;tlich dadurch, daß Mehrere &#x017F;ich in die&#x017F;elbe Sünde<lb/>
theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophi&#x017F;ten, die die&#x017F;e<lb/>
Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬<lb/>
walt ver&#x017F;chreiben, lehrte, nur wenn die Diener der<lb/>
Kirche beym Staate als Beamten den Gnadenti&#x017F;ch ge¬<lb/>&#x017F;&#x017F;en, könne die&#x017F;er &#x017F;ich Ruhe und Sicherheit ver¬<lb/>
&#x017F;prechen; Domänen reizten überdem die Raub&#x017F;ucht<lb/>
des Feindes, und man thue be&#x017F;&#x017F;er darum, das Land<lb/>
von &#x017F;o angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0086] Kapitel von Münſter erlangt, als ein Pfand der Er¬ füllung angenommen. Allein auch hier geſchah gerade ſo viel wie im Verfaſſungswerke; die Kirche blieb zum Aergerniß aller Menſchen in ſtärkerem Verfall, als ſie je unter franzöſiſcher Herrſchaft geweſen, und auf ihre kümmerlichen Mittel zum Fortkommen ange¬ wieſen. Die heilige Allianz lag auf Pergament ge¬ ſchrieben, wohlbewahrt in den Archiven; erbauliche Reden von Frömmigkeit und chriſtlicher Tugend hat¬ ten zum Theil den alten diplomatiſchen Canzleyſtyl verdrängt: aber die Regel des Chriſtenthums, Jedem zu geben das Seine, wurde darum, wie vorhin nicht nach außen, ſo jetzt nach innen, nicht geübt. Die letz¬ ten Domänen, die ärmlichen Reſte des großen Rau¬ bes, zugleich die einzige noch übrige Hypotheke der Landesſchuld, und die einzige mögliche Dotation der Kirche wurde trotz aller Proteſtation zum Ver¬ kaufe ausgeſetzt; das ganze Staats-Miniſterium, un¬ eingedenk der königlichen Schuld, unterſchrieb den Antrag zur Veräußerung, gleichſam als könne die Unterſchrift Vieler der Handlung einen rechtlichern Character geben, und als werde, was unchriſtlich iſt, chriſtlich dadurch, daß Mehrere ſich in dieſelbe Sünde theilen. Jene Brut erbärmlicher Sophiſten, die dieſe Zeit ausgeboren, und die ihr feiles Talent jeder Ge¬ walt verſchreiben, lehrte, nur wenn die Diener der Kirche beym Staate als Beamten den Gnadentiſch ge¬ nöſſen, könne dieſer ſich Ruhe und Sicherheit ver¬ ſprechen; Domänen reizten überdem die Raubſucht des Feindes, und man thue beſſer darum, das Land von ſo angreiflichem Gute auszuräumen: gerade wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/86
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/86>, abgerufen am 28.11.2024.