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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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zu gegründet ist der Vorwurf dieser Zeit gemacht,
daß sie zu gehorchen verlernt, und doch nicht frey zu
seyn versteht; das ist ein großes Recht der Regierun¬
gen bey allem Unrecht, das sie in Vielem haben mögen:
denn die Zügel der Herrschaft können nicht im Winde
fliegen. Nur zu oft hat die ganze Liberalität dieses
Geschlechtes sich nur als eine verlarvte Willkühr aus¬
gewiesen, wie sich häufig genug gerade an den Libe¬
ralsten gezeigt, wenn sie in den Fall gekommen, ihre
Grundsätze auszuüben. Wer Alles allein für sich ha¬
ben will und dem Andern nichts vergönnt, sey es
Stand, Person oder Körperschaft, ist ein Tyrann und
folglich auch ein Sclave; die Freyheit in der Mitte
aber will nicht blos liberal im Nehmen, sondern auch
im Gestatten seyn.

Ihr vom Adel! erinnert Euch wieder der zwie¬
fachen Natur, die sich in Euch begegnen soll, wovon die
Eine der Monarchie sich zugewendet, die Andere dem
Volke sich zugekehrt. Indem Ihr in den letzten Zei¬
ten Euch allzu ausschließlich jener ergeben habt, indem
Ihr im Hofdienst und im stehenden Heere Euch selbst
hörig gemacht ohne Vorbehalt, ist eure eigentliche
Standesehre vor dem Volke hingeschwunden, das in
Euch nur Leibeigne der Landeshoheit erblicken konnte.
Mit dieser Landeshoheit habt Ihr die Beute des Reichs
getheilt, indem Ihr in euern Lehngütern Euch die
Dotation des Krieges zugeeignet; das bedenkend wer¬
det Ihr der Billigkeit nicht Gehör versagen im jetzigen
Streite, der sich mit den Gemeinen erhoben hat.
Vor Revolutionen kann keine Verjährung gelten, sie
fahren schnell über die Jahrhunderte bis zum Ursprung
des Mißbrauchs hin, und die Französische hat ihren
Baronen mit einemmale ihren ganzen Feudalbesitz ab¬
gefordert. Darum wendet Euch nicht ab von billigem
Vergleiche, der Euch den Besitzstand gewähren will,
und nur das Unrecht nicht anerkennt, das durch die
Verderbniß der Zeiten zu einem Recht geworden. Keine
Rechte auf die Person dürft Ihr fortan in Anspruch neh¬
men; bey den Steuern sollte vielmehr Euer Ehrgeiz
seyn, verhältnißmäßig mehr als Andere beyzutragen,

zu gegründet iſt der Vorwurf dieſer Zeit gemacht,
daß ſie zu gehorchen verlernt, und doch nicht frey zu
ſeyn verſteht; das iſt ein großes Recht der Regierun¬
gen bey allem Unrecht, das ſie in Vielem haben mögen:
denn die Zügel der Herrſchaft können nicht im Winde
fliegen. Nur zu oft hat die ganze Liberalität dieſes
Geſchlechtes ſich nur als eine verlarvte Willkühr aus¬
gewieſen, wie ſich häufig genug gerade an den Libe¬
ralſten gezeigt, wenn ſie in den Fall gekommen, ihre
Grundſätze auszuüben. Wer Alles allein für ſich ha¬
ben will und dem Andern nichts vergönnt, ſey es
Stand, Perſon oder Körperſchaft, iſt ein Tyrann und
folglich auch ein Sclave; die Freyheit in der Mitte
aber will nicht blos liberal im Nehmen, ſondern auch
im Geſtatten ſeyn.

Ihr vom Adel! erinnert Euch wieder der zwie¬
fachen Natur, die ſich in Euch begegnen ſoll, wovon die
Eine der Monarchie ſich zugewendet, die Andere dem
Volke ſich zugekehrt. Indem Ihr in den letzten Zei¬
ten Euch allzu ausſchließlich jener ergeben habt, indem
Ihr im Hofdienſt und im ſtehenden Heere Euch ſelbſt
hörig gemacht ohne Vorbehalt, iſt eure eigentliche
Standesehre vor dem Volke hingeſchwunden, das in
Euch nur Leibeigne der Landeshoheit erblicken konnte.
Mit dieſer Landeshoheit habt Ihr die Beute des Reichs
getheilt, indem Ihr in euern Lehngütern Euch die
Dotation des Krieges zugeeignet; das bedenkend wer¬
det Ihr der Billigkeit nicht Gehör verſagen im jetzigen
Streite, der ſich mit den Gemeinen erhoben hat.
Vor Revolutionen kann keine Verjährung gelten, ſie
fahren ſchnell über die Jahrhunderte bis zum Urſprung
des Mißbrauchs hin, und die Franzöſiſche hat ihren
Baronen mit einemmale ihren ganzen Feudalbeſitz ab¬
gefordert. Darum wendet Euch nicht ab von billigem
Vergleiche, der Euch den Beſitzſtand gewähren will,
und nur das Unrecht nicht anerkennt, das durch die
Verderbniß der Zeiten zu einem Recht geworden. Keine
Rechte auf die Perſon dürft Ihr fortan in Anſpruch neh¬
men; bey den Steuern ſollte vielmehr Euer Ehrgeiz
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[207/0215] zu gegründet iſt der Vorwurf dieſer Zeit gemacht, daß ſie zu gehorchen verlernt, und doch nicht frey zu ſeyn verſteht; das iſt ein großes Recht der Regierun¬ gen bey allem Unrecht, das ſie in Vielem haben mögen: denn die Zügel der Herrſchaft können nicht im Winde fliegen. Nur zu oft hat die ganze Liberalität dieſes Geſchlechtes ſich nur als eine verlarvte Willkühr aus¬ gewieſen, wie ſich häufig genug gerade an den Libe¬ ralſten gezeigt, wenn ſie in den Fall gekommen, ihre Grundſätze auszuüben. Wer Alles allein für ſich ha¬ ben will und dem Andern nichts vergönnt, ſey es Stand, Perſon oder Körperſchaft, iſt ein Tyrann und folglich auch ein Sclave; die Freyheit in der Mitte aber will nicht blos liberal im Nehmen, ſondern auch im Geſtatten ſeyn. Ihr vom Adel! erinnert Euch wieder der zwie¬ fachen Natur, die ſich in Euch begegnen ſoll, wovon die Eine der Monarchie ſich zugewendet, die Andere dem Volke ſich zugekehrt. Indem Ihr in den letzten Zei¬ ten Euch allzu ausſchließlich jener ergeben habt, indem Ihr im Hofdienſt und im ſtehenden Heere Euch ſelbſt hörig gemacht ohne Vorbehalt, iſt eure eigentliche Standesehre vor dem Volke hingeſchwunden, das in Euch nur Leibeigne der Landeshoheit erblicken konnte. Mit dieſer Landeshoheit habt Ihr die Beute des Reichs getheilt, indem Ihr in euern Lehngütern Euch die Dotation des Krieges zugeeignet; das bedenkend wer¬ det Ihr der Billigkeit nicht Gehör verſagen im jetzigen Streite, der ſich mit den Gemeinen erhoben hat. Vor Revolutionen kann keine Verjährung gelten, ſie fahren ſchnell über die Jahrhunderte bis zum Urſprung des Mißbrauchs hin, und die Franzöſiſche hat ihren Baronen mit einemmale ihren ganzen Feudalbeſitz ab¬ gefordert. Darum wendet Euch nicht ab von billigem Vergleiche, der Euch den Beſitzſtand gewähren will, und nur das Unrecht nicht anerkennt, das durch die Verderbniß der Zeiten zu einem Recht geworden. Keine Rechte auf die Perſon dürft Ihr fortan in Anſpruch neh¬ men; bey den Steuern ſollte vielmehr Euer Ehrgeiz ſeyn, verhältnißmäßig mehr als Andere beyzutragen,

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/215>, abgerufen am 02.05.2024.