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Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

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weil Ihr mehr als sie gelten wollt. Wie selbst die Lan¬
deshoheit sich zu neuem Vertrage und neuen Einräu¬
mungen entschließen muß; so sollt Ihr in Allem was
die Verfassung betreffen mag, dem gleichen Anspruche
der Zeit auf Erneuerung der alten Bündte Euch in
keine Weise entziehen. Aber daß die Auseinandersetz¬
ung auf dem Wege gütlicher Uebereinkunft geschehen
möge, das zu verlangen habt ihr ein gutes Recht;
auch daß, sind die Grundsätze erst festgestellt, die nö¬
thige Frist zur Ausführung gestattet werde. Je mehr
ihr beweißt, daß noch wirklich die Standesehre in
Euch lebendig ist, um so mehr wird die Idee auch
den Widersagern Achtung abgewinnen; wollt Ihr Euch
aber nur wie Pensionäre des aufgelösten Reiches hal¬
ten, dann wird freylich Euer Aussterben als wün¬
schenswerth erscheinen. Nicht auf ein Flickwerk ist es
bey der Verfassung abgesehen, wie es die letzten Jahr¬
hunderte immer geliefert haben; nicht auf eine diplo¬
matische Halbheit, die nur mechanisch theilt, und Un¬
gleichartiges gewaltsam bindet, darum aber alle Par¬
theyen gleich unbefriedigt läßt; vielmehr sollen alle
Aftergebilde einer krankhaften Zeit abgelöst werden
vom Körper des Staates, daß indem jedem Organ
das Seine zu Theile wird, das Ganze wieder in fri¬
scher Gesundheit blühe. Wer aber bösen Mißbrauch
vertreten will, der erhält das Siechthum des Vater¬
landes, und muß als ein innerer Feind und selbst ein
Krankheitsstoff betrachtet werden. Darum wollet nicht
Euer Unrecht mit euerm Rechte decken, damit nicht
euer Recht mit dem Unrecht herausgeworfen werde.
Alles was auf den Mißbrauch und das Schlechte in
der Verfassung mit seinem Bestande angewiesen, fin¬
det nicht ferner mehr Gnade vor der Meinung. Die
Thorheit des leeren Hochmuths auf blos conventionelle
Vorzüge, die Aufgeblasenheit hohler Eitelkeit, das
ganze dünkelhafte, anmaßliche Junkerthum ist die Fa¬
bel und der Spott der Zeit geworden; aber ein wah¬
rer, rechter, tüchtiger und ehrenfester Adel fehlt uns
überall, am meisten in den höchsten Stellen, wo nur
allzu oft die kahlste, flachste, plattste, erbärmlichste

Gemeinheit

weil Ihr mehr als ſie gelten wollt. Wie ſelbſt die Lan¬
deshoheit ſich zu neuem Vertrage und neuen Einräu¬
mungen entſchließen muß; ſo ſollt Ihr in Allem was
die Verfaſſung betreffen mag, dem gleichen Anſpruche
der Zeit auf Erneuerung der alten Bündte Euch in
keine Weiſe entziehen. Aber daß die Auseinanderſetz¬
ung auf dem Wege gütlicher Uebereinkunft geſchehen
möge, das zu verlangen habt ihr ein gutes Recht;
auch daß, ſind die Grundſätze erſt feſtgeſtellt, die nö¬
thige Friſt zur Ausführung geſtattet werde. Je mehr
ihr beweißt, daß noch wirklich die Standesehre in
Euch lebendig iſt, um ſo mehr wird die Idee auch
den Widerſagern Achtung abgewinnen; wollt Ihr Euch
aber nur wie Penſionäre des aufgelösten Reiches hal¬
ten, dann wird freylich Euer Ausſterben als wün¬
ſchenswerth erſcheinen. Nicht auf ein Flickwerk iſt es
bey der Verfaſſung abgeſehen, wie es die letzten Jahr¬
hunderte immer geliefert haben; nicht auf eine diplo¬
matiſche Halbheit, die nur mechaniſch theilt, und Un¬
gleichartiges gewaltſam bindet, darum aber alle Par¬
theyen gleich unbefriedigt läßt; vielmehr ſollen alle
Aftergebilde einer krankhaften Zeit abgelöſt werden
vom Körper des Staates, daß indem jedem Organ
das Seine zu Theile wird, das Ganze wieder in fri¬
ſcher Geſundheit blühe. Wer aber böſen Mißbrauch
vertreten will, der erhält das Siechthum des Vater¬
landes, und muß als ein innerer Feind und ſelbſt ein
Krankheitsſtoff betrachtet werden. Darum wollet nicht
Euer Unrecht mit euerm Rechte decken, damit nicht
euer Recht mit dem Unrecht herausgeworfen werde.
Alles was auf den Mißbrauch und das Schlechte in
der Verfaſſung mit ſeinem Beſtande angewieſen, fin¬
det nicht ferner mehr Gnade vor der Meinung. Die
Thorheit des leeren Hochmuths auf blos conventionelle
Vorzüge, die Aufgeblaſenheit hohler Eitelkeit, das
ganze dünkelhafte, anmaßliche Junkerthum iſt die Fa¬
bel und der Spott der Zeit geworden; aber ein wah¬
rer, rechter, tüchtiger und ehrenfeſter Adel fehlt uns
überall, am meiſten in den höchſten Stellen, wo nur
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[208/0216] weil Ihr mehr als ſie gelten wollt. Wie ſelbſt die Lan¬ deshoheit ſich zu neuem Vertrage und neuen Einräu¬ mungen entſchließen muß; ſo ſollt Ihr in Allem was die Verfaſſung betreffen mag, dem gleichen Anſpruche der Zeit auf Erneuerung der alten Bündte Euch in keine Weiſe entziehen. Aber daß die Auseinanderſetz¬ ung auf dem Wege gütlicher Uebereinkunft geſchehen möge, das zu verlangen habt ihr ein gutes Recht; auch daß, ſind die Grundſätze erſt feſtgeſtellt, die nö¬ thige Friſt zur Ausführung geſtattet werde. Je mehr ihr beweißt, daß noch wirklich die Standesehre in Euch lebendig iſt, um ſo mehr wird die Idee auch den Widerſagern Achtung abgewinnen; wollt Ihr Euch aber nur wie Penſionäre des aufgelösten Reiches hal¬ ten, dann wird freylich Euer Ausſterben als wün¬ ſchenswerth erſcheinen. Nicht auf ein Flickwerk iſt es bey der Verfaſſung abgeſehen, wie es die letzten Jahr¬ hunderte immer geliefert haben; nicht auf eine diplo¬ matiſche Halbheit, die nur mechaniſch theilt, und Un¬ gleichartiges gewaltſam bindet, darum aber alle Par¬ theyen gleich unbefriedigt läßt; vielmehr ſollen alle Aftergebilde einer krankhaften Zeit abgelöſt werden vom Körper des Staates, daß indem jedem Organ das Seine zu Theile wird, das Ganze wieder in fri¬ ſcher Geſundheit blühe. Wer aber böſen Mißbrauch vertreten will, der erhält das Siechthum des Vater¬ landes, und muß als ein innerer Feind und ſelbſt ein Krankheitsſtoff betrachtet werden. Darum wollet nicht Euer Unrecht mit euerm Rechte decken, damit nicht euer Recht mit dem Unrecht herausgeworfen werde. Alles was auf den Mißbrauch und das Schlechte in der Verfaſſung mit ſeinem Beſtande angewieſen, fin¬ det nicht ferner mehr Gnade vor der Meinung. Die Thorheit des leeren Hochmuths auf blos conventionelle Vorzüge, die Aufgeblaſenheit hohler Eitelkeit, das ganze dünkelhafte, anmaßliche Junkerthum iſt die Fa¬ bel und der Spott der Zeit geworden; aber ein wah¬ rer, rechter, tüchtiger und ehrenfeſter Adel fehlt uns überall, am meiſten in den höchſten Stellen, wo nur allzu oft die kahlſte, flachſte, plattſte, erbärmlichſte Gemeinheit

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Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/216>, abgerufen am 02.05.2024.