Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.eines gebotenen Guten eben so als Missethat geahndet Nur erst, wenn die bürgerliche Tugend die einzige eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0206" n="198"/> eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet<lb/> wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten;<lb/> daß der Krieg zwar nothwendig die äußerſten Gegen¬<lb/> ſätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der<lb/> Mitte gefunden wird u. ſ. w. Alle dieſe ethiſchen Geſetze<lb/> müſſen in der Geſellſchaft mit der Gewißheit mathe¬<lb/> matiſcher Axiome geltend werden; ſie müſſen als all¬<lb/> gemein unverbrüchliche Maximen ſie in allen ihren<lb/> Elementen durchdrungen haben: dann mag ſie im¬<lb/> merhin ohne Gefahr ihrem Inſtinkte folgen; ſie mag<lb/> ihre Verfaſſungen gründen einzig auf den Ackerboden und<lb/> den Verkehr, auf Actien und Erben und die Ariſto¬<lb/> cratie der Meiſtbeerbten; ſie mag die wirkenden, le¬<lb/> bendigen Kräfte in der Verfaſſung vielfältig zerſetzend,<lb/> und wieder nach der Diagonale ſie vereinigend ihre<lb/> mathematiſchen Beluſtigungen und ihre ſtöchyometri¬<lb/> ſchen Calcüle treiben, und die Geſellſchaft auf der<lb/> unterſten Stufe des Lebens einſtweilen zum tauſend¬<lb/> armigen Polypen machen.</p><lb/> <p>Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige<lb/> Staatsklugheit geworden, hat dieſer Mechanism ſeine<lb/> Beſeelung, wie ſie die Zeit ihm geben kann, erlangt,<lb/> und nur dann wird er wie ein organiſcher Körper<lb/> ſich ſelbſt ſchützen und erhalten; aber nimmermehr,<lb/> wenn man die Schlechtigkeit aller Menſchen als be¬<lb/> kannt vorausſetzend, nach dem jetzt, beſonders in Frank¬<lb/> reich herrſchenden Vorurtheil, in der Form und allen<lb/> ihren Cautelen und Gegenſätzen und Controlen, ein<lb/> Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt,<lb/> und alſo, da ein Verſuch um den andern mißlingt,<lb/> in der moraliſchen Welt einem beynahe noch weſenlo¬<lb/> ſeren Phantom nachjagt, als das <hi rendition="#aq">perpetuum mobile</hi> von<lb/> je in der Mechanik ſich erwieſen. Mit vollem Rechte und<lb/> mit der lobenswürdigſten Beharrlichkeit eifert <hi rendition="#g">Adam<lb/> Müller</hi>, in allen ſeinen Schriften, aus ſeinem höhe¬<lb/> ren Standpunkt gegen dieſen furchtbaren Irrthum,<lb/> der, aus der gröbſten materialiſtiſchen Anſicht hervor¬<lb/> gegangen, den Franzoſen in der Politik eben ſo eigen¬<lb/> thümlich iſt, wie das Syſtem des Genuſſes und der wohl¬<lb/> verſtandnen Eigenliebe ihrer Moral ſeit Helvetius: aber<lb/></p> </body> </text> </TEI> [198/0206]
eines gebotenen Guten eben ſo als Miſſethat geahndet
wird, wie das Thun eines verbotenen Schlechten;
daß der Krieg zwar nothwendig die äußerſten Gegen¬
ſätze hält, der Friede aber nur in der Temperatur der
Mitte gefunden wird u. ſ. w. Alle dieſe ethiſchen Geſetze
müſſen in der Geſellſchaft mit der Gewißheit mathe¬
matiſcher Axiome geltend werden; ſie müſſen als all¬
gemein unverbrüchliche Maximen ſie in allen ihren
Elementen durchdrungen haben: dann mag ſie im¬
merhin ohne Gefahr ihrem Inſtinkte folgen; ſie mag
ihre Verfaſſungen gründen einzig auf den Ackerboden und
den Verkehr, auf Actien und Erben und die Ariſto¬
cratie der Meiſtbeerbten; ſie mag die wirkenden, le¬
bendigen Kräfte in der Verfaſſung vielfältig zerſetzend,
und wieder nach der Diagonale ſie vereinigend ihre
mathematiſchen Beluſtigungen und ihre ſtöchyometri¬
ſchen Calcüle treiben, und die Geſellſchaft auf der
unterſten Stufe des Lebens einſtweilen zum tauſend¬
armigen Polypen machen.
Nur erſt, wenn die bürgerliche Tugend die einzige
Staatsklugheit geworden, hat dieſer Mechanism ſeine
Beſeelung, wie ſie die Zeit ihm geben kann, erlangt,
und nur dann wird er wie ein organiſcher Körper
ſich ſelbſt ſchützen und erhalten; aber nimmermehr,
wenn man die Schlechtigkeit aller Menſchen als be¬
kannt vorausſetzend, nach dem jetzt, beſonders in Frank¬
reich herrſchenden Vorurtheil, in der Form und allen
ihren Cautelen und Gegenſätzen und Controlen, ein
Surrogat der fehlenden Ehrlichkeit zu finden glaubt,
und alſo, da ein Verſuch um den andern mißlingt,
in der moraliſchen Welt einem beynahe noch weſenlo¬
ſeren Phantom nachjagt, als das perpetuum mobile von
je in der Mechanik ſich erwieſen. Mit vollem Rechte und
mit der lobenswürdigſten Beharrlichkeit eifert Adam
Müller, in allen ſeinen Schriften, aus ſeinem höhe¬
ren Standpunkt gegen dieſen furchtbaren Irrthum,
der, aus der gröbſten materialiſtiſchen Anſicht hervor¬
gegangen, den Franzoſen in der Politik eben ſo eigen¬
thümlich iſt, wie das Syſtem des Genuſſes und der wohl¬
verſtandnen Eigenliebe ihrer Moral ſeit Helvetius: aber
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