Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

des ganzen Mißverständnisses bey der heutigen Theorie
erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬
dings in sich wesentlich frey und unbedingt ist, bey
ihrem Eintritt in die reale Darstellung aber den Be¬
dingungen einer Naturnothwendigkeit sich unterwerfen
muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich
eine Zeitlang sich abtreiben läßt, aber dann in der
Rückwirkung diese Nichtachtung nur allzu bald nach
ewigen Weltgesetzen furchtbar ahndet. Darum konnte
das Christenthum, das blos den idealen Menschen
betrachtet, seine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬
sprechen; aber seine Ungleichheit vor dem Staate ist
an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie
die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Weise,
in der die lebendige Kraft das Dingliche in Besitz
genommen, und durch positive Rechte, die sich aus
früheren Zeiten überliefert haben, gegeben ist. So
mochten die Alchymisten der früheren Zeit, die an sich
wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle
theoretisch festsetzen; wenn sie aber diese Idee durch
die Verwandlung zu verwirklichen sich bemühten,
fanden sie eben an jenen Naturgesetzen, die sie nun
einmal getheilt dargestellt, einen unbesiegbaren Wi¬
derstand.

Gerade diese Metalle, die für die Gesellschaft eigent¬
lich nur nach dem Maaßstabe des Vortheils, den sie
ihr gewähren, verschiedene Geltung haben sollten,
sind für sie ein Bild jener innern spezifischen Ver¬
schiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos
nach einem ganz conventionellen Maaßstab festgesetzt,
in keine Weise nach jenem Nutzen sich abgemessen;

des ganzen Mißverſtändniſſes bey der heutigen Theorie
erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬
dings in ſich weſentlich frey und unbedingt iſt, bey
ihrem Eintritt in die reale Darſtellung aber den Be¬
dingungen einer Naturnothwendigkeit ſich unterwerfen
muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich
eine Zeitlang ſich abtreiben läßt, aber dann in der
Rückwirkung dieſe Nichtachtung nur allzu bald nach
ewigen Weltgeſetzen furchtbar ahndet. Darum konnte
das Chriſtenthum, das blos den idealen Menſchen
betrachtet, ſeine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬
ſprechen; aber ſeine Ungleichheit vor dem Staate iſt
an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie
die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Weiſe,
in der die lebendige Kraft das Dingliche in Beſitz
genommen, und durch poſitive Rechte, die ſich aus
früheren Zeiten überliefert haben, gegeben iſt. So
mochten die Alchymiſten der früheren Zeit, die an ſich
wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle
theoretiſch feſtſetzen; wenn ſie aber dieſe Idee durch
die Verwandlung zu verwirklichen ſich bemühten,
fanden ſie eben an jenen Naturgeſetzen, die ſie nun
einmal getheilt dargeſtellt, einen unbeſiegbaren Wi¬
derſtand.

Gerade dieſe Metalle, die für die Geſellſchaft eigent¬
lich nur nach dem Maaßſtabe des Vortheils, den ſie
ihr gewähren, verſchiedene Geltung haben ſollten,
ſind für ſie ein Bild jener innern ſpezifiſchen Ver¬
ſchiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos
nach einem ganz conventionellen Maaßſtab feſtgeſetzt,
in keine Weiſe nach jenem Nutzen ſich abgemeſſen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0190" n="182"/>
des ganzen Mißver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;es bey der heutigen Theorie<lb/>
erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬<lb/>
dings in &#x017F;ich we&#x017F;entlich frey und unbedingt i&#x017F;t, bey<lb/>
ihrem Eintritt in die reale Dar&#x017F;tellung aber den Be¬<lb/>
dingungen einer Naturnothwendigkeit &#x017F;ich unterwerfen<lb/>
muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich<lb/>
eine Zeitlang &#x017F;ich abtreiben läßt, aber dann in der<lb/>
Rückwirkung die&#x017F;e Nichtachtung nur allzu bald nach<lb/>
ewigen Weltge&#x017F;etzen furchtbar ahndet. Darum konnte<lb/>
das Chri&#x017F;tenthum, das blos den idealen Men&#x017F;chen<lb/>
betrachtet, &#x017F;eine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬<lb/>
&#x017F;prechen; aber &#x017F;eine Ungleichheit vor dem Staate i&#x017F;t<lb/>
an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie<lb/>
die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Wei&#x017F;e,<lb/>
in der die lebendige Kraft das Dingliche in Be&#x017F;itz<lb/>
genommen, und durch po&#x017F;itive Rechte, die &#x017F;ich aus<lb/>
früheren Zeiten überliefert haben, gegeben i&#x017F;t. So<lb/>
mochten die Alchymi&#x017F;ten der früheren Zeit, die an &#x017F;ich<lb/>
wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle<lb/>
theoreti&#x017F;ch fe&#x017F;t&#x017F;etzen; wenn &#x017F;ie aber die&#x017F;e Idee durch<lb/>
die Verwandlung zu verwirklichen &#x017F;ich bemühten,<lb/>
fanden &#x017F;ie eben an jenen Naturge&#x017F;etzen, die &#x017F;ie nun<lb/>
einmal getheilt darge&#x017F;tellt, einen unbe&#x017F;iegbaren Wi¬<lb/>
der&#x017F;tand.</p><lb/>
      <p>Gerade die&#x017F;e Metalle, die für die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eigent¬<lb/>
lich nur nach dem Maaß&#x017F;tabe des Vortheils, den &#x017F;ie<lb/>
ihr gewähren, ver&#x017F;chiedene Geltung haben &#x017F;ollten,<lb/>
&#x017F;ind für &#x017F;ie ein Bild jener innern &#x017F;pezifi&#x017F;chen Ver¬<lb/>
&#x017F;chiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos<lb/>
nach einem ganz conventionellen Maaß&#x017F;tab fe&#x017F;tge&#x017F;etzt,<lb/>
in keine Wei&#x017F;e nach jenem Nutzen &#x017F;ich abgeme&#x017F;&#x017F;en;<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0190] des ganzen Mißverſtändniſſes bey der heutigen Theorie erklären, der darin liegt, daß die Idee zwar aller¬ dings in ſich weſentlich frey und unbedingt iſt, bey ihrem Eintritt in die reale Darſtellung aber den Be¬ dingungen einer Naturnothwendigkeit ſich unterwerfen muß, die zwar bey einer gewaltthätigen Umkehr freilich eine Zeitlang ſich abtreiben läßt, aber dann in der Rückwirkung dieſe Nichtachtung nur allzu bald nach ewigen Weltgeſetzen furchtbar ahndet. Darum konnte das Chriſtenthum, das blos den idealen Menſchen betrachtet, ſeine Gleichheit vor Gott unbedenklich aus¬ ſprechen; aber ſeine Ungleichheit vor dem Staate iſt an Beziehungen geknüpft, die durch die Art, wie die Natur ihre Gaben vertheilt, durch die Weiſe, in der die lebendige Kraft das Dingliche in Beſitz genommen, und durch poſitive Rechte, die ſich aus früheren Zeiten überliefert haben, gegeben iſt. So mochten die Alchymiſten der früheren Zeit, die an ſich wohlbegründete Idee der Gleichartigkeit aller Metalle theoretiſch feſtſetzen; wenn ſie aber dieſe Idee durch die Verwandlung zu verwirklichen ſich bemühten, fanden ſie eben an jenen Naturgeſetzen, die ſie nun einmal getheilt dargeſtellt, einen unbeſiegbaren Wi¬ derſtand. Gerade dieſe Metalle, die für die Geſellſchaft eigent¬ lich nur nach dem Maaßſtabe des Vortheils, den ſie ihr gewähren, verſchiedene Geltung haben ſollten, ſind für ſie ein Bild jener innern ſpezifiſchen Ver¬ ſchiedenheit geworden, indem ihr relativer Preis blos nach einem ganz conventionellen Maaßſtab feſtgeſetzt, in keine Weiſe nach jenem Nutzen ſich abgemeſſen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/190
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/190>, abgerufen am 08.05.2024.