Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

die mit jenem sich leicht in einen zerstörenden Kampf
versetzen mochten: aber einmal hatten sie verstanden,
daß nur im Hader alles Leben sich gebähre, und daß, wo¬
fern nur die höhere zusammenhaltende Liebe nicht dem
Ganzen fehle, der Zwist immer seine Beruhigung finde,
ehe er in eine gänzliche Zerstörung ausgegangen; und sie
wußten andrerseits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬
sellschaft zu Interessen werden, darum nicht aufge¬
hoben und vernichtet sind, wenn man ihnen in der
Verfassung kein Organ angewiesen; und daß es thö¬
rigt sey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation
würden die besondern Richtungen darum schlafend
bleiben und unthätig, wenn man durch eigene Insti¬
tutionen sie an ihr Daseyn nicht erinnere.

Auch hatten sie sehr wohl eingesehen, daß der Grund¬
satz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen
Verhältnisse anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum
agrarischen Gesetze zurückgehen, und nur erst bey einer
entschiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬
laufe der florentinischen Geschichten der niedere Adel
den höheren zuerst bemeistert, wurde jener später von
den Zünften ausgetrieben. Gegen diese aber erhoben
sich nun die Halbzünftigen, die später wieder von
den Heimathlosen in wüthendem Aufstand bestritten
wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung
sich aufgelöst, der Freystaat reif war, einem Tyran¬
nen zur Beute heimzufallen, der sich in dem ersten
Medici in der Mitte des dritten Standes selbst erhob.

So wird auch in den heutigen Ansichten das städ¬
tische Wesen, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als
eine unerträgliche Tyranney erscheinen, und da jenes

die mit jenem ſich leicht in einen zerſtörenden Kampf
verſetzen mochten: aber einmal hatten ſie verſtanden,
daß nur im Hader alles Leben ſich gebähre, und daß, wo¬
fern nur die höhere zuſammenhaltende Liebe nicht dem
Ganzen fehle, der Zwiſt immer ſeine Beruhigung finde,
ehe er in eine gänzliche Zerſtörung ausgegangen; und ſie
wußten andrerſeits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬
ſellſchaft zu Intereſſen werden, darum nicht aufge¬
hoben und vernichtet ſind, wenn man ihnen in der
Verfaſſung kein Organ angewieſen; und daß es thö¬
rigt ſey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation
würden die beſondern Richtungen darum ſchlafend
bleiben und unthätig, wenn man durch eigene Inſti¬
tutionen ſie an ihr Daſeyn nicht erinnere.

Auch hatten ſie ſehr wohl eingeſehen, daß der Grund¬
ſatz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen
Verhältniſſe anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum
agrariſchen Geſetze zurückgehen, und nur erſt bey einer
entſchiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬
laufe der florentiniſchen Geſchichten der niedere Adel
den höheren zuerſt bemeiſtert, wurde jener ſpäter von
den Zünften ausgetrieben. Gegen dieſe aber erhoben
ſich nun die Halbzünftigen, die ſpäter wieder von
den Heimathloſen in wüthendem Aufſtand beſtritten
wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung
ſich aufgelöſt, der Freyſtaat reif war, einem Tyran¬
nen zur Beute heimzufallen, der ſich in dem erſten
Medici in der Mitte des dritten Standes ſelbſt erhob.

So wird auch in den heutigen Anſichten das ſtäd¬
tiſche Weſen, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als
eine unerträgliche Tyranney erſcheinen, und da jenes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0188" n="180"/>
die mit jenem &#x017F;ich leicht in einen zer&#x017F;törenden Kampf<lb/>
ver&#x017F;etzen mochten: aber einmal hatten &#x017F;ie ver&#x017F;tanden,<lb/>
daß nur im Hader alles Leben &#x017F;ich gebähre, und daß, wo¬<lb/>
fern nur die höhere zu&#x017F;ammenhaltende Liebe nicht dem<lb/>
Ganzen fehle, der Zwi&#x017F;t immer &#x017F;eine Beruhigung finde,<lb/>
ehe er in eine gänzliche Zer&#x017F;törung ausgegangen; und &#x017F;ie<lb/>
wußten andrer&#x017F;eits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft zu Intere&#x017F;&#x017F;en werden, darum nicht aufge¬<lb/>
hoben und vernichtet &#x017F;ind, wenn man ihnen in der<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung kein Organ angewie&#x017F;en; und daß es thö¬<lb/>
rigt &#x017F;ey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation<lb/>
würden die be&#x017F;ondern Richtungen darum &#x017F;chlafend<lb/>
bleiben und unthätig, wenn man durch eigene In&#x017F;ti¬<lb/>
tutionen &#x017F;ie an ihr Da&#x017F;eyn nicht erinnere.</p><lb/>
      <p>Auch hatten &#x017F;ie &#x017F;ehr wohl einge&#x017F;ehen, daß der Grund¬<lb/>
&#x017F;atz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum<lb/>
agrari&#x017F;chen Ge&#x017F;etze zurückgehen, und nur er&#x017F;t bey einer<lb/>
ent&#x017F;chiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬<lb/>
laufe der florentini&#x017F;chen Ge&#x017F;chichten der niedere Adel<lb/>
den höheren zuer&#x017F;t bemei&#x017F;tert, wurde jener &#x017F;päter von<lb/>
den Zünften ausgetrieben. Gegen die&#x017F;e aber erhoben<lb/>
&#x017F;ich nun die Halbzünftigen, die &#x017F;päter wieder von<lb/>
den Heimathlo&#x017F;en in wüthendem Auf&#x017F;tand be&#x017F;tritten<lb/>
wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung<lb/>
&#x017F;ich aufgelö&#x017F;t, der Frey&#x017F;taat reif war, einem Tyran¬<lb/>
nen zur Beute heimzufallen, der &#x017F;ich in dem er&#x017F;ten<lb/>
Medici in der Mitte des dritten Standes &#x017F;elb&#x017F;t erhob.</p><lb/>
      <p>So wird auch in den heutigen An&#x017F;ichten das &#x017F;täd¬<lb/>
ti&#x017F;che We&#x017F;en, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als<lb/>
eine unerträgliche Tyranney er&#x017F;cheinen, und da jenes<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0188] die mit jenem ſich leicht in einen zerſtörenden Kampf verſetzen mochten: aber einmal hatten ſie verſtanden, daß nur im Hader alles Leben ſich gebähre, und daß, wo¬ fern nur die höhere zuſammenhaltende Liebe nicht dem Ganzen fehle, der Zwiſt immer ſeine Beruhigung finde, ehe er in eine gänzliche Zerſtörung ausgegangen; und ſie wußten andrerſeits, daß Naturtriebe, die in der Ge¬ ſellſchaft zu Intereſſen werden, darum nicht aufge¬ hoben und vernichtet ſind, wenn man ihnen in der Verfaſſung kein Organ angewieſen; und daß es thö¬ rigt ſey zu glauben, in einer allgemeinen Corporation würden die beſondern Richtungen darum ſchlafend bleiben und unthätig, wenn man durch eigene Inſti¬ tutionen ſie an ihr Daſeyn nicht erinnere. Auch hatten ſie ſehr wohl eingeſehen, daß der Grund¬ ſatz allgemeiner Gleichheit, einmal für die idealen Verhältniſſe anerkannt, nothwendig folgerecht bis zum agrariſchen Geſetze zurückgehen, und nur erſt bey einer entſchiednen Democratie ruhen könne. Als im Ver¬ laufe der florentiniſchen Geſchichten der niedere Adel den höheren zuerſt bemeiſtert, wurde jener ſpäter von den Zünften ausgetrieben. Gegen dieſe aber erhoben ſich nun die Halbzünftigen, die ſpäter wieder von den Heimathloſen in wüthendem Aufſtand beſtritten wurden; wo denn nachdem alle Bande der Ordnung ſich aufgelöſt, der Freyſtaat reif war, einem Tyran¬ nen zur Beute heimzufallen, der ſich in dem erſten Medici in der Mitte des dritten Standes ſelbſt erhob. So wird auch in den heutigen Anſichten das ſtäd¬ tiſche Weſen, gegenüber dem Bäuerlichen, bald als eine unerträgliche Tyranney erſcheinen, und da jenes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/188
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/188>, abgerufen am 08.05.2024.