Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

und würfelt um sein Gewand? Mit Worten höre ich
seine Lehre viel bekennen, aber die Werke sind nicht
darnach; voll von Leuten seh ich den Gerichtshof
stehen, die Recht suchen und Gerechtigkeit, aber kein
Richter ist vorhanden; deswegen hat das müßige
Schwert von selber sich an der Wand gerührt, und
ein schuldiges Haupt getroffen. Darum und sintemal
wir denn alle Sünder sind, so richtet menschlich über
eure Brüder, damit menschlich über Euch gerichtet
werde. Thut, was Euch durch göttliche und mensch¬
liche Gesetze gebothen ist; dann wird der Abgrund
sich von selber schließen, und ich werde das letzte
Schlachtopfer seyn, das er verschlingt.

So ernste, tief einschneidende Vorgänge mußten
nothwendig die angestrengteste Aufmerksamkeit der Re¬
gierungen auf sich ziehen. Sie sind ans Steuer des
Staats gesetzt, damit sie das Schiff lenken durch jeg¬
liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je
stärker die Brandung schäumt, um so gelassener muß
der Steuermann hinaus in die Bewegung sehen; will
er der wirklichen Gefahr Meister werden, dann darf
er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das
Schwanken, das den Unkundigen in Entsetzen bringt,
wird ihn nicht berühren; selbst das Toben des Ele¬
mentes wird er mit scharfem Blicke und gewandter
Hand sich dienstbar machen, daß die Kräfte, wenn
auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen.
Je mehr eine Regierung von der Natur des ersten
Bewegers in sich trägt, um so weniger wird sie durch
die Schwingungen des Bewegten sich irren lassen;
erblickend die Dinge von der Höhe, und gleichsam

und würfelt um ſein Gewand? Mit Worten höre ich
ſeine Lehre viel bekennen, aber die Werke ſind nicht
darnach; voll von Leuten ſeh ich den Gerichtshof
ſtehen, die Recht ſuchen und Gerechtigkeit, aber kein
Richter iſt vorhanden; deswegen hat das müßige
Schwert von ſelber ſich an der Wand gerührt, und
ein ſchuldiges Haupt getroffen. Darum und ſintemal
wir denn alle Sünder ſind, ſo richtet menſchlich über
eure Brüder, damit menſchlich über Euch gerichtet
werde. Thut, was Euch durch göttliche und menſch¬
liche Geſetze gebothen iſt; dann wird der Abgrund
ſich von ſelber ſchließen, und ich werde das letzte
Schlachtopfer ſeyn, das er verſchlingt.

So ernſte, tief einſchneidende Vorgänge mußten
nothwendig die angeſtrengteſte Aufmerkſamkeit der Re¬
gierungen auf ſich ziehen. Sie ſind ans Steuer des
Staats geſetzt, damit ſie das Schiff lenken durch jeg¬
liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je
ſtärker die Brandung ſchäumt, um ſo gelaſſener muß
der Steuermann hinaus in die Bewegung ſehen; will
er der wirklichen Gefahr Meiſter werden, dann darf
er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das
Schwanken, das den Unkundigen in Entſetzen bringt,
wird ihn nicht berühren; ſelbſt das Toben des Ele¬
mentes wird er mit ſcharfem Blicke und gewandter
Hand ſich dienſtbar machen, daß die Kräfte, wenn
auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen.
Je mehr eine Regierung von der Natur des erſten
Bewegers in ſich trägt, um ſo weniger wird ſie durch
die Schwingungen des Bewegten ſich irren laſſen;
erblickend die Dinge von der Höhe, und gleichſam

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0122" n="114"/>
und würfelt um &#x017F;ein Gewand? Mit Worten höre ich<lb/>
&#x017F;eine Lehre viel bekennen, aber die Werke &#x017F;ind nicht<lb/>
darnach; voll von Leuten &#x017F;eh ich den Gerichtshof<lb/>
&#x017F;tehen, die Recht &#x017F;uchen und Gerechtigkeit, aber kein<lb/>
Richter i&#x017F;t vorhanden; deswegen hat das müßige<lb/>
Schwert von &#x017F;elber &#x017F;ich an der Wand gerührt, und<lb/>
ein &#x017F;chuldiges Haupt getroffen. Darum und &#x017F;intemal<lb/>
wir denn alle Sünder &#x017F;ind, &#x017F;o richtet men&#x017F;chlich über<lb/>
eure Brüder, damit men&#x017F;chlich über Euch gerichtet<lb/>
werde. Thut, was Euch durch göttliche und men&#x017F;ch¬<lb/>
liche Ge&#x017F;etze gebothen i&#x017F;t; dann wird der Abgrund<lb/>
&#x017F;ich von &#x017F;elber &#x017F;chließen, und ich werde das letzte<lb/>
Schlachtopfer &#x017F;eyn, das er ver&#x017F;chlingt.</p><lb/>
      <p>So ern&#x017F;te, tief ein&#x017F;chneidende Vorgänge mußten<lb/>
nothwendig die ange&#x017F;trengte&#x017F;te Aufmerk&#x017F;amkeit der Re¬<lb/>
gierungen auf &#x017F;ich ziehen. Sie &#x017F;ind ans Steuer des<lb/>
Staats ge&#x017F;etzt, damit &#x017F;ie das Schiff lenken durch jeg¬<lb/>
liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je<lb/>
&#x017F;tärker die Brandung &#x017F;chäumt, um &#x017F;o gela&#x017F;&#x017F;ener muß<lb/>
der Steuermann hinaus in die Bewegung &#x017F;ehen; will<lb/>
er der wirklichen Gefahr Mei&#x017F;ter werden, dann darf<lb/>
er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das<lb/>
Schwanken, das den Unkundigen in Ent&#x017F;etzen bringt,<lb/>
wird ihn nicht berühren; &#x017F;elb&#x017F;t das Toben des Ele¬<lb/>
mentes wird er mit &#x017F;charfem Blicke und gewandter<lb/>
Hand &#x017F;ich dien&#x017F;tbar machen, daß die Kräfte, wenn<lb/>
auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen.<lb/>
Je mehr eine Regierung von der Natur des er&#x017F;ten<lb/>
Bewegers in &#x017F;ich trägt, um &#x017F;o weniger wird &#x017F;ie durch<lb/>
die Schwingungen des Bewegten &#x017F;ich irren la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
erblickend die Dinge von der Höhe, und gleich&#x017F;am<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0122] und würfelt um ſein Gewand? Mit Worten höre ich ſeine Lehre viel bekennen, aber die Werke ſind nicht darnach; voll von Leuten ſeh ich den Gerichtshof ſtehen, die Recht ſuchen und Gerechtigkeit, aber kein Richter iſt vorhanden; deswegen hat das müßige Schwert von ſelber ſich an der Wand gerührt, und ein ſchuldiges Haupt getroffen. Darum und ſintemal wir denn alle Sünder ſind, ſo richtet menſchlich über eure Brüder, damit menſchlich über Euch gerichtet werde. Thut, was Euch durch göttliche und menſch¬ liche Geſetze gebothen iſt; dann wird der Abgrund ſich von ſelber ſchließen, und ich werde das letzte Schlachtopfer ſeyn, das er verſchlingt. So ernſte, tief einſchneidende Vorgänge mußten nothwendig die angeſtrengteſte Aufmerkſamkeit der Re¬ gierungen auf ſich ziehen. Sie ſind ans Steuer des Staats geſetzt, damit ſie das Schiff lenken durch jeg¬ liche Gefahr. Aber je hohler die Wellen gehen, je ſtärker die Brandung ſchäumt, um ſo gelaſſener muß der Steuermann hinaus in die Bewegung ſehen; will er der wirklichen Gefahr Meiſter werden, dann darf er nicht zaghaft vor Eingebildeter erbeben; das Schwanken, das den Unkundigen in Entſetzen bringt, wird ihn nicht berühren; ſelbſt das Toben des Ele¬ mentes wird er mit ſcharfem Blicke und gewandter Hand ſich dienſtbar machen, daß die Kräfte, wenn auch unwillig und aufbäumend, ihn zum Ziele führen. Je mehr eine Regierung von der Natur des erſten Bewegers in ſich trägt, um ſo weniger wird ſie durch die Schwingungen des Bewegten ſich irren laſſen; erblickend die Dinge von der Höhe, und gleichſam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/122
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/122>, abgerufen am 24.11.2024.