Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

im Beschlusse bleiben, spielt oben das heitere Leben.
Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück
der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche
aufgerissen, dann steigen alle Schrecken aus der Tiefe
auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es
faßt den Menschen mit dämonischer Gewalt, und der
einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬
bare Macht, die sich gegen ihn entkettet hat. Die
Nacht und alle Furien des Lebens steigen durch jenen
Schlund herauf, der Selbstmord und jeder blutige
Frevel. Mir haben sie den Geist gesendet, den jener
Römer in Asien und bey Philippi sah, und er hat
nicht ohne harten Kampf gesiegt.

Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬
gerissen, wer hat alle Leidenschaften losgekettet, und
jene Furien herauf beschworen? wer hat alle Brunn¬
quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬
erst vergiftet? Als die Römer Edessa gewonnen, da hat¬
ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten
an seinen Grundvesten gierig nach Schätzen wühlend, wie
die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein
weggerissen, der von den alten Magiern mit Sprüchen
und heiligen Formeln besprochen, den Abgrund besie¬
gelt hielt, in dem sie die Seuche beschlossen hatten,
und diese verbreitete sich sofort durch die Oeffnung
über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den
dritten Theil des Menschengeschlechtes weg.

Ihr sprecht vom Christenthum, wer aber hat seine
Macht zuerst gebrochen, indem er es zum Deckmantel sei¬
ner Habsucht und jeglicher bösen Leidenschaft gemacht?
Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in seiner Kirche

8

im Beſchluſſe bleiben, ſpielt oben das heitere Leben.
Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück
der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche
aufgeriſſen, dann ſteigen alle Schrecken aus der Tiefe
auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es
faßt den Menſchen mit dämoniſcher Gewalt, und der
einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬
bare Macht, die ſich gegen ihn entkettet hat. Die
Nacht und alle Furien des Lebens ſteigen durch jenen
Schlund herauf, der Selbſtmord und jeder blutige
Frevel. Mir haben ſie den Geiſt geſendet, den jener
Römer in Aſien und bey Philippi ſah, und er hat
nicht ohne harten Kampf geſiegt.

Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬
geriſſen, wer hat alle Leidenſchaften losgekettet, und
jene Furien herauf beſchworen? wer hat alle Brunn¬
quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬
erſt vergiftet? Als die Römer Edeſſa gewonnen, da hat¬
ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten
an ſeinen Grundveſten gierig nach Schätzen wühlend, wie
die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein
weggeriſſen, der von den alten Magiern mit Sprüchen
und heiligen Formeln beſprochen, den Abgrund beſie¬
gelt hielt, in dem ſie die Seuche beſchloſſen hatten,
und dieſe verbreitete ſich ſofort durch die Oeffnung
über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den
dritten Theil des Menſchengeſchlechtes weg.

Ihr ſprecht vom Chriſtenthum, wer aber hat ſeine
Macht zuerſt gebrochen, indem er es zum Deckmantel ſei¬
ner Habſucht und jeglicher böſen Leidenſchaft gemacht?
Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in ſeiner Kirche

8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0121" n="113"/>
im Be&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e bleiben, &#x017F;pielt oben das heitere Leben.<lb/>
Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück<lb/>
der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche<lb/>
aufgeri&#x017F;&#x017F;en, dann &#x017F;teigen alle Schrecken aus der Tiefe<lb/>
auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es<lb/>
faßt den Men&#x017F;chen mit dämoni&#x017F;cher Gewalt, und der<lb/>
einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬<lb/>
bare Macht, die &#x017F;ich gegen ihn entkettet hat. Die<lb/>
Nacht und alle Furien des Lebens &#x017F;teigen durch jenen<lb/>
Schlund herauf, der Selb&#x017F;tmord und jeder blutige<lb/>
Frevel. Mir haben &#x017F;ie den Gei&#x017F;t ge&#x017F;endet, den jener<lb/>
Römer in A&#x017F;ien und bey Philippi &#x017F;ah, und er hat<lb/>
nicht ohne harten Kampf ge&#x017F;iegt.</p><lb/>
      <p>Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬<lb/>
geri&#x017F;&#x017F;en, wer hat alle Leiden&#x017F;chaften losgekettet, und<lb/>
jene Furien herauf be&#x017F;chworen? wer hat alle Brunn¬<lb/>
quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬<lb/>
er&#x017F;t vergiftet? Als die Römer Ede&#x017F;&#x017F;a gewonnen, da hat¬<lb/>
ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten<lb/>
an &#x017F;einen Grundve&#x017F;ten gierig nach Schätzen wühlend, wie<lb/>
die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein<lb/>
weggeri&#x017F;&#x017F;en, der von den alten Magiern mit Sprüchen<lb/>
und heiligen Formeln be&#x017F;prochen, den Abgrund be&#x017F;ie¬<lb/>
gelt hielt, in dem &#x017F;ie die Seuche be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatten,<lb/>
und die&#x017F;e verbreitete &#x017F;ich &#x017F;ofort durch die Oeffnung<lb/>
über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den<lb/>
dritten Theil des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes weg.</p><lb/>
      <p>Ihr &#x017F;precht vom Chri&#x017F;tenthum, wer aber hat &#x017F;eine<lb/>
Macht zuer&#x017F;t gebrochen, indem er es zum Deckmantel &#x017F;ei¬<lb/>
ner Hab&#x017F;ucht und jeglicher bö&#x017F;en Leiden&#x017F;chaft gemacht?<lb/>
Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in &#x017F;einer Kirche<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] im Beſchluſſe bleiben, ſpielt oben das heitere Leben. Aber hat die Siegel eigne Schuld oder das Unglück der Zeit erbrochen, und die Thore zum Unterreiche aufgeriſſen, dann ſteigen alle Schrecken aus der Tiefe auf; wie Unwetter zieht es aus dem Abgrund; es faßt den Menſchen mit dämoniſcher Gewalt, und der einzelne Wille vermag nichts mehr gegen die furcht¬ bare Macht, die ſich gegen ihn entkettet hat. Die Nacht und alle Furien des Lebens ſteigen durch jenen Schlund herauf, der Selbſtmord und jeder blutige Frevel. Mir haben ſie den Geiſt geſendet, den jener Römer in Aſien und bey Philippi ſah, und er hat nicht ohne harten Kampf geſiegt. Wer aber hat die Pforten jenes Unterreiches auf¬ geriſſen, wer hat alle Leidenſchaften losgekettet, und jene Furien herauf beſchworen? wer hat alle Brunn¬ quellen des öffentlichen Lebens mit Haß und Argwohn zu¬ erſt vergiftet? Als die Römer Edeſſa gewonnen, da hat¬ ten die Kriegsleute, den Tempel plündernd, und unten an ſeinen Grundveſten gierig nach Schätzen wühlend, wie die Sage uns berichtet, endlich auch den Stein weggeriſſen, der von den alten Magiern mit Sprüchen und heiligen Formeln beſprochen, den Abgrund beſie¬ gelt hielt, in dem ſie die Seuche beſchloſſen hatten, und dieſe verbreitete ſich ſofort durch die Oeffnung über die ganze bewohnte Erde hin, und raffte den dritten Theil des Menſchengeſchlechtes weg. Ihr ſprecht vom Chriſtenthum, wer aber hat ſeine Macht zuerſt gebrochen, indem er es zum Deckmantel ſei¬ ner Habſucht und jeglicher böſen Leidenſchaft gemacht? Wer kreuzigt noch jetzt den Herrn in ſeiner Kirche 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/121
Zitationshilfe: Görres, Joseph von: Teutschland und die Revolution. Koblenz, 1819, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goerres_revolution_1819/121>, abgerufen am 05.05.2024.